Sonntag, 28. Februar 2010

der letzte Spanier

Kuba ist weit weg, singt ein Wellensittich,
als Seeleute die Weltkarte an den Mast anschlagen.
solange der Wind das Hundebellen über'm Ozean treibt,
wird sich die Erde auf einem derben Wort wie auf den Walen halten.
in der Mausefalle sind die letzten Brotkrümel für die Brieftauben übrig.
und die Wolken sind aufgelöst wie Mull,
der den Sonnenuntergang wie eine Platzwunde verbindet.
im Frachtraum riecht's nach Eiter wie nach faulem Fisch -
die Seeleute spüren es, wen heute der Neptun zu sich nimmt.
und wenn der Sturm die Karavelle - wie die Königin den Bauern -
wegfegen will,
lass, Teufel, uns den Horizont erreichen und nicht zusammenbrechen.
im Logbuch reimt der Kapitän die Tage,
und hält den Schrot und Pulver von seinen Augen weit weg.
der Polarstern wird immer trüber,
und der Kapitän schreibt auf, dass sich der Stern zuerst ergeben hat.

von Sergej Tenjatnikow

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die Schule der Dummen

zu Weihnachten sind die Bäume mit bunten Blättern behangen
wie die Marktstände mit Lebkuchen.
und jeder nasse Busch wirft - wie im Suff - den Bäumen
seine abgeriebenen Münzen unter die Füße.
hier erscheint in Dämmerungsstunden, leuchtend wie ein Engel,
der Außerirdische aus dem Sternbild Wassermann...
und der Regen tropft von seinen Händen wie das Blut.
trotz all dem zeigt sein Gesicht von Bedauern keine Spur,
als ob sich die Wahrheit hinter der 25. Tür versteckt hält.

Passanten, fest ins Mysterium eingeflochten,
spazieren, die Köpfe mit Kapuzen wie mit Perücken überzogen.
der da hält den Regenschirm, die Allee mit Schritten vermessend,
wie ein entthronter Monarch das Zepter in der Hand.
hier sind Hundehalsbänder zarter und reiner
als französische Jabots...
aber du knöpfst am Bierglas die schäumende Manschette auf,
und schätzt, über die Brille schauend, den heutigen Mond
auf eine Million und ein Karat,
und beobachtest, wie die Bar verlässt der erneut
vergiftete Sokrates.

von Sergej Tenjatnikow

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Sonntag, 14. Februar 2010

Klagemauer

römische Legionäre drehen ab über Judäa.
die Wolken ziehen unter ihnen auseinander
wie versklavte Juden.
den Himmel stramm gezogen mit einem Schulterriemen aus weißem Leder,
tragen die Legionäre die Sonne auf ihren Schildern schneller,
höher, weiter als in vergangenen Jahrtausenden.
unter ihrem Marsch bebt das alte Judäa,
und jeder Dornbusch brennt als ein Schutzengel
über seinem eigenen Grabe
am Stadtrand von Jerusalem.
die Speere und Pfeile der Soldaten verwunden die Erde
wie ein Klapps auf den Hinterkopf eine Frau - so messen
die Pharisäer den Glauben anhand der Stigmata
auf den Körpern der Gemeindeglieder.
wie eine Schallmauer die Klagemauer hinter sich gelassen,
schlagen die römischen Legionäre die Richtung ein
auf Palästina.
irgendwann wird das alles ein Archäologe ausgraben,
die Knochen der Legionäre durchzählen
und in einem Schuhkarton auf dem Regal verstauen
mit der Aufschrift "XXI. Jh. vor unserer Zeitrechnung".

von Sergej Tenjatnikow

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Prager Frühling

Autor löschte den Text :'(

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Dienstag, 2. Februar 2010

Canaletto und die Dresdner Frauenkirche

Dresden ist keine Weltstadt. Der sächsische Kurfürsten- und Königshof, der in Dresden seine Residenz fand, spielte allenfalls als Vorreiter der Reformation bis in die Jahre des 30-jährigen Krieges hinein eine nennenswerte Rolle in der europäischen Geschichte. Im diplomatischen Ränkespiel und den Kabinettskriegen des europäischen Absolutismus nahm Sachsen stets einen untergeordneten Platz ein als Koalitionspartner der Großmächte, das allezeit mit mäßigem Erfolg seine bescheidenen außenpolitischen Interessen verfolgte.
Der Dresdner Humor weiß mit Ironie davon zu berichten, dass der sächsische Hof von der Blütezeit des Absolutismus, über die Wirren der französischen Revolution bis in das 19. Jahrhundert hinein in den stets wechselnden Koalitionen selten auf der Seite der Sieger stand. Aber nicht ohne Stolz wissen die Dresdner auch zu erzählen, dass vielleicht gerade die diplomatischen Missgeschicke und militärischen Niederlagen Gründe dafür waren, dass es dem sächsischen Hof gelingen musste, sich auf einem anderen Gebiet der Konkurrenz unter den Großmächten Weltgeltung zu verschaffen. Es war und ist die Kunst, die der Stadt Dresden über die sächsischen Landesgrenzen hinaus Rang und Namen einbrachte, die zahlreichen Gemälde in seinen Galerien, die gesammelten Schätze der sächsischen Kurfürsten und Könige und die steinernen Zeugnisse des europäischen Barockes.
Einen nicht geringen Teil seines künstlerischen Weltruhms verdankt die Stadt Dresden einem Maler, dem es gelang, ihrem barocken Antlitz durch seine Bilder Unverkennbarkeit und Ewigkeit zu verleihen. Die Silhouette der Dresdner Altstadt am Ufer der Elbe, deren Zentren der aufragende Turm der Hofkirche und die wuchtige Kuppel der Frauenkirche bilden, die eingebettet sind in die Palais der Brühlschen Terrasse und die den Fluss überspannenden Bögen der Augustusbrücke, trägt den Titel „Canaletto-Blick“ nach dem Beinamen des Malers, der sie in seinen Gemälden abbildete. Der Name dieses Malers lautet Bernardo Bellotto, genannt Canaletto.
Bernardo Bellotto wurde 30. Januar 1721 in Venedig geboren und 1735 Schüler seines kinderlosen Onkels Giovanni Antonio Canal, von welchem er den Beinamen Canaletto übernahm. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung, einigen Reisen durch Italien und einem Umzug seines Onkels erbte er 1746 dessen Werkstatt. Im gleichen Jahr erhielt Bernardo Bellotto eine Einladung an den Dresdner Hof Friedrich Augusts II., des Kurfürsten von Sachsen und als August III. Königs von Polen, wo er 1747 eintraf. 1748-1758 wirkte Bernardo Bellotto hoch dotiert und angesehen als Hofmaler in Dresden. Während seines ersten Aufenthaltes in Dresden schuf er im Auftrag des Kurfürsten 1748-1753 vierzehn Ansichten von Dresden, 1753-1756 elf Ansichten von Pirna und 1756-1758 vier Ansichten der Festung Königstein, sowie dreizehn Dresdner und acht Pirnaer Ansichten im Auftrag des sächsischen Premierministers Heinrich Graf von Brühl und andere Auftragswerke. Der Beginn des siebenjährigen Krieges 1756, die Flucht Friedrich Augusts II. und des Grafen von Brühls nach Warschau und die daraus resultierende schwierige Wirtschaftslage veranlassten ihn 1758 Dresden zu verlassen. Er wirkte bis 1761 am Wiener Hof Maria Theresias, den Rest des Jahres 1761 am bayrischen Kurfürstenhof Maximilians III. in München und kehrte im gleichen Jahr nach Dresden zurück, vermutlich nachdem er von der Bombardierung der Stadt durch preußische Truppen und dem Verlust seiner Besitztümer erfahren hatte. Das Ende des siebenjährigen Krieges 1763 verbesserte die Situation Bernardo Bellottos kaum, da im selben Jahr der Kurfürst Friedrich August II. und Heinrich Graf von Brühl verstarben, sich der Kunstgeschmack am Hofe der Nachfolger des Kurfürsten zum Klassizismus wandelte und sich seine Auftragslage verschlechterte. 1764-1766 arbeitete Bernardo Bellotto als „aggrediertes Mitglied für Perspektive“, d.h. ohne ordentliche Professur, an der Dresdner Kunstakademie. 1766 kehrte Bernardo Bellotto seiner langjährigen Wirkungsstätte Dresden endgültig den Rücken und reisten nach Warschau an den Hof Stanislaus’ Augusts Poniatowskis, wo er noch einmal eine Blüte seines Schaffens erlebte und am 17. November 1780 starb.
Aus historischer Sicht stehen die Gemälde Bernardo Bellottos zwischen der Blütezeit des feudalen Absolutismus und den ihre Schatten voraus werfenden bürgerlichen Revolutionen in Europa. Für Bernardo Bellotto war die in Italien entstandene Vedutenmalerei kennzeichnend, eine besonders detaillierte und topographisch genaue Darstellung von Städten und Landschaften. Diese Malweise hatte er von seinem Onkel Canal gelernt, übernommen und als sächsischer Hofmaler angewendet. Die Gemälde Bernardo Bellottos sollten als Auftragswerke den Reichtum, den Prunk und die Macht der feudalabsolutistischen Herrscher, v. a. des sächsischen Hofes, abbilden und zur Schau stellen. Der Detailreichtum und Realismus der Vedutenmalerei Bernardo Bellottos unterschied sich hierbei aber deutlich von der mystisch verklärten und die absolutistische Herrschaft märchenhaft verherrlichenden Vedutenmalerei Johann Alexander Thieles, seines Vorgängers als Dresdner Hofmaler. Bernardo Bellotto bildete auf diese Weise nolens volens in seinen Gemälden weit mehr ab als höfische Architektur. Seine Gemälde zeigen das städtische Leben Dresdens in der Mitte des 18. Jahrhunderts, in dessen Mittelpunkt wie in vielen anderen Städten ein reiches, wirtschaftlich starkes und selbstbewusstes Bürgertum stand. Noch war dieses Bürgertum nicht zahlreich genug und seine spezifische auf Warenproduktion beruhende Produktionsweise nicht zur vorherrschenden Produktionsweise in der Gesellschaft avanciert, dass es den Wunsch gehegt und die Kraft besessen hätte, sich dem absolutistisch herrschenden Adel politisch entgegen zu stellen und selbst nach der politischen Herrschaft zu greifen. Aber auf dem vermeintlich neutralen Gebiet der Kunst konkurrierte das Bürgertum bereits kokett mit der Macht des Absolutismus, auch in der Architektur. Nicht zuletzt die das Stadtbild Dresdens und damit auch die Gemälde Bernardo Bellottos bestimmende Dresdner Frauenkirche ist Zeugnis jenes unterschwelligen Aufbegehrens des städtischen Bürgertums gegen den Absolutismus.
Die Frauenkirche in der heute bekannten Gestalt entstand als Reaktion der protestantischen Bürgerschaft Dresdens auf die Konvertierung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I., genannt „August der Starke“, zum Katholizismus. Das Kurfürstentum Sachsen war Teil des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen und sein Kurfürst der habsburgischen kaiserlichen Zentralgewalt untergeordnet. Der Widerspruch zwischen dem Unabhängigkeitsstreben der deutschen Reichsfürsten und dem Herrschaftsanspruch der kaiserlichen Zentralgewalt bildete seit seiner Entstehung den Grundkonflikt im deutschen Reich. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert begannen einige der deutschen Reichsfürsten durch Diplomatie, Heiratspolitik oder Krieg nach den Kronen anderer europäischer Staaten zu greifen, um ihre Stellung im europäischen Mächtesystem bei gleichzeitiger Anerkennung der deutschen Reichsverfassung zu heben. Dies tat auch Friedrich August I. Weil die Interessen der europäischen Mächte es gestatteten und Kaiser Leopold I. seine Kandidatur unterstützte, erfolgte nach dem Tod des polnischen König Johanns III. Sobieskis 1697 die Wahl Friedrich August I. zum König August II. von Polen. Weil Polen aber ein katholisches Land war, musste auch „August der Starke“ zum katholischen Glauben konvertieren. Die Bevölkerung des Kurfürstentums Sachsen blieb jedoch in der überwiegenden Zahl protestantisch.
Unter diesen Umständen bot die Schließung der protestantischen gotischen Kirche „Zu unseren Lieben Frauen“ aus baulichen und städteplanerischen Gründen 1714 der Dresdner Bürgerschaft Anlass für eine beeindruckende Manifestation ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeutung. 1722 beauftragte der Rat der Stadt Dresden den Architekten George Bähr mit dem Bau einer mächtigen Kuppelkirche als neue Dresdner Frauenkirche. Der Bau der Frauenkirche begann 1726 und wurde 1743 vollendet. Seitdem prägte die Frauenkirche fast 200 Jahre lang das Stadtbild Dresdens bis sie innerlich ausgebrannt am 15. Februar 1945 in sich zusammen fiel. Dies geschah zwei Tage nach der Bombardierung der Stadt in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 als moralisch fragwürdige aber historisch gerechtfertigte alliierte Vergeltung für die brutale Zerstörung europäischer Städte durch das nationalsozialistische Deutschland. Mit dem uneingelösten Versprechen des Bürgertums, eine gerechtere Gesellschaft zu erschaffen, starb somit symbolisch während des zweiten Weltkrieges auch das berühmteste Zeugnis des Selbstbewusstseins der Dresdner Bürgerschaft.
Was der Nachwelt erhalten blieb, sind die Gemälde Bernardo Bellottos, in denen das historische Dresden abgebildet ist und aus denen der Betrachter eine Vorstellung gewinnen kann vom Glanz des sächsischen Hofes und vom Stolz der Dresdner Bürgerschaft – und die Ruine der Frauenkirche, die mehr als 60 Jahre lang den Bewohnern und Besuchern der Stadt Dresden Mahnung und Denkmal sein sollte: „Nie wieder geschehe, was hier geschah!“ Und bei einem Rundgang durch Dresden wird ihnen gewahr: Mögen die historischen Taten und Persönlichkeiten anderen Staaten der Weltgeschichte entsprungen sein. Die Mauern Dresdens beherbergen nicht den geschichtlichen Ruhm, sondern zahlreiche Denkmäler Werte schaffender und friedlicher Kunst. Einer jener Künstler, dessen Werke nicht Welt-, sondern Kunstgeschichte geschrieben haben, und der wie andere mit der Stadt Dresden auf untrennbare Weise verbunden ist, war Bernardo Bellotto, genannt Canaletto.

von Roman Stelzig

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