Montag, 28. September 2009

Was will die Windmühle?

Was Hermann Hesse 1954 in einem Brief über die Gefahren schrieb, die dem Individuum drohen, soll uns als eine Art Programmschrift dienen. Hier sei dieser Brief abgedruckt.

Meine Dichtungen sind alle ohne Absichten, ohne Tendenzen entstanden. Wenn ich aber nachträglich nach einem gemeinsamen Sinn in ihnen suche, so finde ich allerdings einen solchen: Meine Bücher können alle als eine Verteidigung (zuweilen als Notschrei) der Persönlichkeit, des Individuums gedeutet werden. Der einzelne, einmalige Mensch mit seinen Erbschaften und Möglichkeiten, seinen Gaben und Neigungen ist ein zartes, gebrechliches Ding, er kann wohl einen Anwalt brauchen. Und so wie er alle großen und starken Mächte gegen sich hat: den Staat, die Schule, die Kirchen, die Kollektive jeder Art, die Patrioten, die Orthodoxen und Katholiken aller Lager, die Kommunisten oder Faschisten nicht minder, so habe ich und haben meine Bücher immer alle dieses Mächte gegen sich gehabt und bekamen ihre Kampfmittel, die anständigen wie die brutalen und gemeinen, zu spüren.

Es wurde mir tausendmal bestätigt, wie gefährdet, schutzlos und angefeindet der Einzelne, der nicht Gleichgeschaltete in der Welt steht, wie sehr er des Schutzes, der Ermutigung, der Liebe bedarf. Zugleich zeigte sich aber im Laufe meiner Erfahrungen auch, dass in allen Lagern und Gemeinschaften von den christlichen bis zu den kommunistischen und faschistischen, Unzählige vorhanden sind, denen die Gleichschaltung trotz ihrer Vorteile und Bequemlichkeiten nicht genügt, derer Seele in der Orthodoxie notleidet. Und so stehen den massiven Ablehnungen und Angriffen der Kollektive Tausende mehr oder weniger ratlosen Fragen und Beichten Einzelner gegenüber, denen meine Bücher (und natürlich nicht nur meine) etwas wie Wärme, Trost, Aufrichtung geben.

Ich vertrau darauf, dass es sehr viele gebe, die aus meinen Dichtungen so viel aufnehmen, als ihre Natur erlaubt, die einen Autor wir mich als Anwalt des Individuums, der Seele, des Gewissens gelten lassen, ohne sich ihm wie einem Katechismus, einer Orthodoxie, einem Marschbefehl unterzuordnen und ohne die hohen Werte der Gemeinschaft und Einordnung über Bord zu werfen. Denn diese Menschen spüren, dass es mir weder um die Zerstörung der Ordnungen und Bindungen zu tun ist, noch um die Vergottung des Einzelnen, sondern um ein Leben, in dem Liebe, Schönheit und Ordnung herrschen, um ein Zusammenleben, im dem der Mensch nicht nur ein Herdenvieh wird, sondern die Würde, die Schönheit und die Tragik seiner Einmaligkeit behalten darf.

Wenn Sie die Mächte betrachten, die in der heutigen Welt der Entwicklung des Einzelnen zur Persönlichkeit, zum Vollmenschen hindernd entgegenstehen, wenn Sie den phantasiearmen, schwach beseelten, den ganz nur angepassten, nur gehorsamen, nur gleichgeschalteten Typ Mensch betrachten, der das Ideal der Großen Kollektive und vor allem des Staates ist, dann wird es Ihnen nicht schwerfallen, für die kämpferischen Gebärden des kleinen Don Quichote gegen die großen Windmühlen Verständnis und Nachsicht aufzubringen. Der Kampf scheint aussichtslos und unsinnig. Viele bringt er zum Lachen. Und doch muss er gekämpft werden, und doch hat Don Quichote nicht minder Recht als die Windmühlen.
Hermann Hesse, März 1954

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