Dienstag, 1. Juni 2010

Ziegenhals - Hintergründe, Geschichte und Ende einer Gedenkstätte

Als am 07. Februar 1933 zwei angetrunkene Männer den Hauptsaal des Sporthauses in Ziegenhals betraten, hätte nur ein Eingeweihter erkennen können, welche Gefahr von den beiden zufällig eintreffenden Menschen für die Anwesenden im Sporthaus ausging. Deutlich war die laute und erregte Stimme eines Redners durch die verschlossene Tür des dem Saal benachbarten Zimmers zu hören: „...stellen die Frage des Kampfes für den Sturz der Hitlerregierung, die Frage der Beseitigung der Hitler-Hugenberg-Regierung als unmittelbare Aufgabe. Wir stellen sie in jeder Stunde...“ Da unterbrach das beherzte Einschreiten eines weiteren Saalgastes die beiden aufmerksam gewordenen Männer beim Zuhören. Er scherzte mit ihnen, verwickelte sie in Gespräche und lud beide auf Bier in ein anderes Lokal in der Nähe ein. Die beiden Männer willigten ein und unter Scherzen und Lachen verließen alle drei gemeinsam den Saal des Sporthauses, während sich in den Gesichtern der im Saal zurückbleibenden Menschen sichtlich die Anspannung löste.
Etwa zur gleichen Zeit saß im nicht weit entfernten Ort Niederlehme Otto Franke als Vorsitzender der Revisionskommission der Gemeindekasse mit seinem Bürgermeister in einer Besprechung über den Zustand der Gemeindekasse, die er extra für diesen Tag einberaumt hatte. Gelegentlich unterbrachen Anliegen und Meldungen von Mitarbeitern, Beamten oder Parteigenossen die Besprechung. Otto Franke hörte bei jeder Unterbrechung aufmerksam zu, ob in einem der Gespräche der Ort Ziegenhals genannt wird. Aber nichts, was er während der Besprechung mit dem Bürgermister zu hören bekam, weckte seine Aufmerksamkeit. Der Ort Ziegenhals blieb ungenannt. Die Beamten, Parteigänger und Anhänger der Regierung des neu ernannten Reichskanzlers Adolf Hitler schienen ahnungslos über das, was sich zu diesem Zeitpunkt im kleinen Sitzungssaal des Sporthauses Ziegenhals abspielte.
Adolf Hitler war eine Woche zuvor, am 30. Januar 1933, vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum neuen Kanzler der Weimarer Republik ernannt worden. Paul von Hindenburg war zwar ein erklärtet Gegner der republikanischen Staatsform, ein Anhänger Adolf Hitlers und dessen Programms vom „nationalen Sozialismus“, hinter dem sich zahlreiche junge Arbeiter, Arbeitslose, verarmte Landarbeiter, Bauern und Mitglieder der vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschicht sammelten, war er dennoch nicht. Die Ernennung Adolf Hitlers erfolgte nicht aus freiem Willen, Paul von Hindenburg wurde gedrängt von führenden Vertretern der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft. Bereits am 19. November 1932 hatte ihn eine Eingabe erreicht, die vom ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht verfasst und u.a. von Fritz Thyssen und 18 weiteren Vertretern der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft unterschrieben und in der vom Reichspräsidenten gefordert worden war, „die größtmögliche Volkskraft hinter das Kabinett“ zu bringen. Damit war keine andere Partei gemeint als die NSDAP, die nach der Eingabe „gegen das bisherige parlamentarische Regime“ eingestellt war und bei den Reichstagswahlen am 06. November 1932 die meisten Stimmen hinter sich hatte vereinen können. Paul von Hindenburg war dieser Aufforderung zunächst nicht nachgekommen und hatte am 02. Dezember 1932 Kurt von Schleicher zum Reichskanzler der Weimarer Republik ernannt. Obwohl die persönlichen Gründe Paul von Hindenburgs, warum er Adolf Hitler schließlich doch in das Amt des Reichskanzlers berief, damit verborgen bleiben, ist deutlich erkennbar, dass sich hinter dieser Entscheidung wirtschaftliche und politische Interessen der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft verbargen.
Am 24. Oktober 1929, dem „Schwarzen Donnerstag“, hatte der rapide Fall der Aktienkurse des Dow-Jones-Index in den USA die bis dahin umfassendste Überproduktionskrise der kapitalistischen Produktionsweise eingeleitet. Die internationalen Märkte, die in den Konjunkturjahren nach dem Ersten Weltkrieg gewachsen waren, waren mit Waren überschwemmt, nach denen schon seit langem keine Nachfrage mehr bestand. Die Konzerne und Unternehmen waren gezwungen, ihre Waren zu Preisen zu verkaufen, die unter den Produktionskosten lagen, oder in Lagerhallen zu horten, bis die Sättigung der Märkte überwunden und neue Nachfrage entstanden war. Doch bis das hätte geschehen können, hätte Zeit ins Land fließen müssen und mit ihr das Geld und Kapital der Unternehmen, die einer nach dem anderen der sich verschärfenden ökonomischen Konkurrenz erlagen und Konkurs anmelden mussten. Finanzspekulationen hatten ihr übriges getan, dass der Produktions- bald auch die Finanzkrise gefolgt war, die sich mit dem Bankrott der österreichischen Kreditanstalt am 11. Mai 1931 auch über Europa zu verbreiten drohte. Um den Erscheinungen der Überproduktionsprise kurzfristig entgegen zu wirken und künstliche Nachfrage zu erzeugen, waren Kredite vergeben, deren nomineller Wert real nicht gedeckt war, der Eigenkapitalanteil von Unternehmen gesenkt und mit Verschuldung und Spekulation auf zukünftige Gewinne produziert worden. Am 23. Juni 1931 war der Bremer Spinnereikonzern„Nordwolle“ den Folgen der Aufdeckung von Bilanzfälschungen erlegen, die der Konzern betrieben hatte, um seine wahre wirtschaftliche Situation zu verschleiern. Der Konzern war nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Darmstädter und Nationslbank (Danatbank) nachzukommen, die zugleich Miteigentümer des Konzerns war und die deshalb ebenfalls am 13. Juli 1931 Konkurs hatte anmelden müssen. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkreise hatte damit das deutsche Reich erreicht und sich fortgesetzt, als die völlige Überschuldung weiterer Banken und Konzerne bekannt wurde, die reihenweise ebenfalls Konkurs anmelden mussten. Es hatte nun gegolten, den drohenden Kollaps des gesamten Währungs- und Finanzsystems des Deutschen Reiches zu verhindern, falls Kleinsparer, Anleger und Gläubiger aus Angst, ihre getätigten Einlagen nicht zurück zu erhalten, auf einmal sämtlich Investitionen zurück fordern sollten, zu deren Garantie die Danatbank längst nicht mehr in der Lage gewesen war. Der Staat hatte einspringen müssen als Retter und Bürge. 50 Millionen Reichsmark hatte Reichskanzler Heinrich Brüning der Danatbank als kurzfristige Unterstützung zugesichert, Ausfallbürgschaften für alle Verbindlichkeiten der Bank übernommen und der Schwerindustrie zum Ankauf von Aktienkapital der Danatbank 35 Millionen Reichsmark vorgestreckt.
Auf diese Weise waren der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft Gelder zugeflossen, die der deutsche Staat auf andere Weise einsparen musste. Heinrich von Brüning war mit dem Beinamen „Hungerkanzler“ in die Geschichte eingegangen als der Reichskanzler der Weimarer Republik, unter dessen Kanzlerschaft massive sozialpolitische Einsparungen erfolgt waren. Mit Hilfe von Notverordnungen, d.h. gesetzgeberischen Befugnissen des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, hatte Heinrich Brüning an der Kontrolle des Parlamentes vorbei Maßnahmen durchgesetzt wie die Erhöhung der Einkommenssteuer um 5% und die Erhöhung der Beitragszahlungen zur Arbeitslosenversicherung um 4,5% bei gleichzeitiger Kürzung der Leistungen von Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Die Gehälter der staatlichen Beamten waren um 6% gesenkt und im staatlichen Wohnungsbau 200 Millionen Reichsmark eingespart worden. Diese Einsparpolitik war erfolgt, während die Zahl der Opfer der Wirtschafts- und Finanzkrise und die von ihr verursachte Not wuchsen und wuchsen. Mittelständische und Kleinbetriebe, Geschäfte oder kleine Händler waren der ökonomischen Konkurrenz erlegen und hatten Konkurs angemeldet, weil Aufträge und Nachfrage ausgeblieben waren und sie ihren Zahlungsverpflichtungen nicht hatten nachkommen können. Die Konzerne, deren Eigenkapital ausreichte, der Krise standzuhalten, hatten sparen und Arbeitskräfte in großer Zahl entlassen müssen. 1932 hatte die Zahl der arbeitslosen Bevölkerung des Deutschen Reiches die Marke von 6 Millionen überschritten. Mit dieser Masse von Menschen, die ihrer materiellen, klassenmäßigen Grundlage beraubt waren; mit den Arbeitern, die keinen Arbeitsplatz fanden und ihre Arbeitskraft nicht zum Gelderwerb verkaufen konnten, mit der verarmten Landbevölkerung, die Hof und Acker nicht mehr bewirtschaften konnten und verkaufen mussten, mit den Kleinbetrieben, deren Eigentümer ihren Besitzt verloren und sich in die Scharen der Arbeitslosen einreihten oder selbst Lohnarbeit suchen mussten, mit den Intellektuellen und Künstlern, die die Produkte ihrer geistigen Arbeit nicht mehr verkaufen konnten, mit den Beamten, Soldaten und Angestellten des Staates, deren Arbeitsplätze gestrichen wurden und die ihrer Privilegien verlustigt gingen; mit dieser Masse von Menschen hatte der bürgerlich-demokratische Staat der Weimarer Republik mehr und mehr die materielle Voraussetzung seiner Existenz verloren: Eine genügende Masse von Wählern, deren materielles Leben mit dem wirtschaftlichen und politischen System der Republik verbunden war und die sich deshalb immer wieder zur Wahl bürgerlicher republikanischer Parteien entschieden hatten, deren Programm auf den Fortbestand der kapitalistischen Produktionsweise unter der republikanischen bürgerlichen Staatsform ausgerichtet war.
Zwei Parteien hatten in den Ausgangsjahren der Weimarer Republik an Bedeutung gewonnen, deren Anhängerschaft stetig wuchs. Die Kommunistisch Partei Deutschlands (KPD) hatte in den Reichstagswahlen im November 1932 16,9% Wählerstimmen gewonnen, die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) 33,1%. Das Programm der KPD zielte darauf ab, die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden und in eine sozialistische, gesellschaftlich organisierte und geplante Produktionsweise umzuwandeln, in der kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr bestehen sollte, indem der bürgerliche republikanische Staat abgeschafft und an seiner Stelle ein Staat aufgebaut würde, in dem die Arbeiterklasse im Bündnis mit allen werktätigen Schichten, d.h. Bauern oder Kleinbetrieben, die politische Macht nicht nur formal durch Wahlen, sonder tatsächlich ausüben sollten. Das Programm der KPD zielte damit auf die Überwindung des Wirtschaftssystems der Weimarer Republik, das die Ursache für die Krise der Wirtschaft und die Not der Menschen war, bei gleichzeitigem Erhalt und Ausbau des demokratischen und sozialen Gehaltes ihrer bürgerlich-demokratischen Staatsform.
Die entgegengesetzte Zielrichtung verfolgte das Programm der NSDAP. Ihre ursprüngliche Programmatik, Rhetorik und Erscheinung enthielten zwar zahlreiche Elemente des Antikapitalismus und der Arbeiterbewegung. Auf diese Weise war es der NSDAP gelungen, große Teile der verarmten Landbevölkerung, des Mittelstandes, der Arbeiterschaft und der Arbeitslosen als Anhängerschaft und Mitglieder zu gewinnen. Diese antikapitalistischen Elemente waren aber nur scheinbarer und demagogischer Natur, um die Massen für die Ideen eines „nationalen Sozialismus“ zu gewinnen. Ihrem eigentlichen Wesen nach zielten Programm und Politik der NSDAP auf den unbedingten Erhalt der kapitalistischen Produktionsweise durch der Errichtung einer faschistischen Diktatur. Anschaulichen Beweiß davon liefert das Engagement des ehemaliges Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schachts für die Finanzierung der NSDAP, der u.a. am 18. März 1932 an den Eigentümer der Gutehoffnungshütte Paul Reusch schrieb: „Das Wahlresultat vom 13. März wird sie nicht darüber täuschen, dass die politische Rechtsentwicklung in Deutschland unaufhaltsam fortschreitet und dass die nationalsozialistische Partei bei einer solchen Rechtsentwicklung nicht zu umgehen sein wird. Unser aller Sorge ist dabei die Frage der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik. […] Mir ist deshalb die Idee gekommen, ob nicht (…) der Versuch unternommen werden sollte, die nationalsozialistischen Wirtschaftsideen in vernünftigem Sinne zu beeinflussen.“ Diese Beeinflussung erfolgte in den darauf folgenden Monaten mit der Pointe, dass der inzwischen erneute Reichsbankpräsident und zum Reichswirtschaftsminister aufgestiegene Hjalmar Schacht 1934 den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Mitbegründer der NSDAP und Verfasser des NSDAP-Prateiprogramms Gottfried Feder kurzerhand seiner Ämter enthob und vor die Tür setzte. Was die Massen der Wähler und Anhänger trotzt Fortbestehen des Kapitalismus bei der Stange halten sollte, waren die Einbeziehung in die Massenorganisationen von Partei und Staat und eine Ideologie, die auf Chauvinismus und Rassenhass basierte und im „jüdischen Bolschewismus“ den Verursacher und Schuldigen der Wirtschafts- und Finanzkrise des Kapitalismus erblicken sollte. So bedeutete die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 u.a.: Einbindung der Arbeiter und Arbeitslosen in die kapitalistische Produktionsweise durch Massenorganisationen der Partei und des Staates, völlige Zerschlagung der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen, die Liquidierung ihrer politischen Führer, Extraprofite und Einsparung von Lohnkosten durch Zwangsarbeit in Konzentrations- und Arbeitslagern, Eroberung neuer Absatzmärkte und Rohstoffquellen und die Überwindung der kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrise durch Staatsaufträge, Rüstungsproduktion und Krieg.
Das war die historische Situation, in der sich die KPD über die veränderten und neuen Bedingungen ihrer politischen Arbeit klar werden und Aufgaben, Ziele und Methoden ihrer Politik für die Zukunft bestimmen musste. Zu diesem Zweck fanden sich am 07. Februar 1933 etwa 40 Mitglieder das Zentralkomitees und andere Funktionäre der KPD zu einer geheimen Tagung zusammen. Als Tagungsort wurde ein Sporthaus bestimmt, dessen Eigentümer Wilhelm Mörschel seit ihrer Gründung selbst Mitglied der KPD war. Das Sporthaus befand sich in Ziegenhals am Ufer des Krossinsees, nahe des kleinen Ortes Zeuthen im Südosten Berlins. Bereits die Anfahrt der Tagungsteilnehmer war verdeckt organisiert worden und erfolgte auf verschlungenen Pfaden. Jeder Teilnehmer erhielt eine Einladung, auf der jeweils ein anderer Ort und ein Zeitfenster von 15 Minuten vermerkt waren, An diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt bekam Eingeladene den Zeitpunkt und als zentralen Treffpunkt die Sternwarte Treptow genannt. Dort führte das KPD-Mitglied Arthur Lange, der als Astronom in der Sternwarte angestellt war, die als Besuchergruppe getarnte Gruppe Menschen durch die Sternwarte, auf deren Dach sie schließlich die Information erhielt, dass Reisebusse sie als geschlossene Reisegruppe zum Tagungsort Ziegenhals fahren würden. Während der Tagung sicherten drei Gruppen Parteigenossen die nähere Umgebung des Sporthauses, damit die Teilnehmer nicht unvorbereitet von eintreffenden SA-Mitgliedern oder Polizisten überrascht würden. Der oben bereits genannte Vorsitzende der Revisionskommission der Gemeindekasse von Niederlehme Otto Franke hatte extra aus diesem Anlass eine Revisionsbesprechung der Gemeindekasse einberaumt, um die Aufmerksamkeit des Bürgermeisters zu binden und die eingehenden Meldungen über das Geschehen in der Umgebung zu verfolgen.
Auf der Tagung selbst hielt Ernst Thälmann, der seit 1925 der Vorsitzende der KPD war, das Hauptreferat. In seiner Rede, die nicht im Original, sondern nur als nachträgliche Abschrift überliefert ist, kennzeichnete Ernst Thälmann zunächst die Situation, die sich mit dem 30. Januar 1933 für die KPD und für die Arbeiterklasse selbst, ergab. Wie eine Kassandra prophezeite er seinen anwesenden Genossen: „Das Kabinett Hitler-Hugenberg-Papen ist die offene faschistische Diktatur. Was die Zusammensetzung der Regierung anbetrifft, so kann es in Deutschland eine weitere Steigerung in der Richtung des offenen Faschismus kaum mehr geben. Wohl aber gibt es in den Methoden dieser Regierung der offenen faschistischen Diktatur noch eine ganze Reihe von Steigerungsmöglichkeiten. Jeder Zweifel darüber, dass diese Regierung vor irgendwelchen […] Methoden des äußersten Terrors zurückschrecken würde, wäre sehr gefährlich.
Es ist der Bourgeoise ernst damit, die Partei und die Avantgarde der Arbeiterklasse zu zerschmettern. Sie wird deshalb kein Mittel unversucht lassen, um dieses Ziel zu erreichen. Also nicht nur faschistische Klassenjustiz, sondern alle Formen des faschistischen Terrors; darüber hinaus: Masseninternierungen von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde an unseren tapferen antifaschistischen Kämpfern, insbesondere an kommunistischen Führern – das alles gehört mit zu den Waffen, deren sich die offene faschistische Diktatur uns gegenüber bedienen wird.“

Die Arbeiterklasse hatte mit dem Regierungsantritt Adolf Hitlers zweifellos eine entscheidende Niederlage erlitten, an der auch die KPD einen nicht geringen Anteil der Schuld trug. Denn „wir waren nicht imstande, die Aufrichtung der faschistischen Diktatur bis zur heutigen offenen faschistischen Diktatur zu verhindern.“ Und „wenn wir nicht mehr erreichen konnten, so deshalb, weil wir den Einfluss der SPD- und ADGB-Führer sowie der christlichen Gewerkschaftsführer auf breite Arbeitermassen nicht in dem erforderlichen Maße zu liquidieren vermochten. Uns hemmten in diesem Kampf die Mängel unserer Gewerkschaftsarbeit, Betriebsarbeit, die Mängel bei der Anwendung der Einheitsfront und im prinzipiellen Kampf gegen die sozialdemokratischen Betrugsmanöver.“ Die Arbeitermassen seien durchaus auf der Höhe der Zeit angelangt und „was sich gegenwärtig in ganz Deutschland abspielt, die täglichen Demonstrationen, Zusammenstöße, Kampfhandlungen in allen Teilen des Reiches, ist der beste Ausdruck dafür, wie geladen, wie gespannt von revolutionären Energien die ganze Atmosphäre ist.“ Aber in der Partei zeigen sich „starke Erscheinungen des Zurückbleibens hinter den Massen. Man braucht diese Schwächen der Parteiorganisation nicht zu schwarz zu sehen, aber man muss die Augen aufmachen, um sie rechtzeitig zu liquidieren.“
So müsse die KPD unter den veränderten Bedingen hinarbeiten auf „eine Kette ununterbrochener, miteinander verflochtener und sich gegenseitig ablösender Aktionen, die Entfaltung aller Formen des Massenwiderstandes und Massenkampfes gegen die faschistische Diktatur.“ „Der revolutionäre Brand muss stets an anderer Stelle wieder verstärkt aufflackern und sich entzünden, wenn er an einer anderen Stelle vorübergehend erstickt wird, bis keine Feuerwehr mehr hilft, diesen revolutionären Brand zu löschen. So müssen wir dazu kommen, die Organisierung ununterbrochener Massenaktionen des Proletariats in allen Formen, auf allen Gebieten in die Wege zu leiten. Dabei würde die Vernachlässigung der Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und aller übrigen werktätigen Schichten eine fast ebenso schwere Gefahr bedeuten wie vor allem jeder Ökonomismus, das heißt die Vernachlässigung des politischen Kampfes gegen die Diktatur der Bourgeoise.“ „Rückhaltlose Entfesselung aller Formen der politischen und wirtschaftlichen Tageskämpfe und Aktionen, Teilkämpfe, Teilstreiks usw., fester, entschlossener Kurs auf den politischen Generalstreik!“
Ernst Thälmann benannte konkrete Aufgaben und Arbeitsfelder, in denen die zielgerichtete und verstärkte Parteiarbeit zum Tragen kommen sollte: „Wir müssen überall den gemeinsamen Massenselbstschutz aufziehen, einen Patrouillendienst in den Arbeitervierteln, die Möglichkeit von rascher Alarmierung der Arbeiterschaft gegen faschistische Überfälle usw. organisieren. Wir müssen anlässlich des drohend bevorstehenden Parteiverbots die Rolle der Partei immer deutlicher als der einzigen Partei eines realen, positiven Auswegs aus der Krise, als der einzigen Partei der Verteidigung der Interessen der werktätigen Massen herausarbeiten. Wir müssen die Aktivität für den Schutz der Partei und der proletarischen Führer zur Entfaltung bringen und eine solche Stimmung in den Massen schaffen, dass ein Verbot der KPD von den Massen mit der Entfaltung der größten Kampfaktion beantwortet wird. Wir müssen anlässlich des bevorstehenden Streikverbots die Schaffung von illegalen betrieblichen Streikkassen endlich in die Tat umsetzen. […]
Wir müssen das Bündnis zwischen Stadt und Land, zwischen den kämpfenden Arbeitern und den werktätigen Bauern schmieden. Wir müssen den armen Bauernmassen klarmachen, dass nur im Bündnis mit dem Proletariat, nur unter proletarischer Hegemonie, nur im Kampf gegen die Kapitalisten auch das Los der Bauern gebessert werden kann.
Wir müssen die größte Stoßkraft entfalten zur Gewinnung der proletarischen und werktätigen Jugend aus der SAJ, aber sogar aus der Hitlerjugend müssen wir einzelne und ganze Massen herüberreißen. Wir müssen gegen die Zwangsarbeit, gegen die Zuchthauslager und die Kasernierung mit der Arbeitsdienstpflicht, gegen die Militarisierung der Jugend Sturm laufen.
Gegen die chauvinistische Kriegshetze und imperialistische Kriegspolitik des Faschismus müssen wir die Massenpropaganda für den proletarischen Internationalismus, für unsere Freiheitspolitik entfalten.
Wir müssen den Massen unser Programm zeigen als das Programm des einzigen Auswegs aus Elend, Not und Unterdrückung, als Programm der sozialen und nationalen Befreiung des deutschen Volkes. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir die Partei sind, die durch die Befreiung der Arbeiterklasse die Einheit der Nation verwirklicht, indem sie das kapitalistische System bis zu dessen Vernichtung bekämpft.“

Bemerkenswert und von großer Bedeutung für die zukünftige Politik der KPD und der gesamten Kommunistischen Internationale sind die Aussagen, „dass der Sturz der Hitlerregierung und der Sieg der proletarischen Revolution [nicht] unbedingt ein und dasselbe sein muss. Wir stellen die Frage des Kampfes für den Sturz der Hitlerregierung, die Frage der Beseitigung der Hitler-Hugenberg-Regierung als unmittelbare Aufgabe […], ohne dass wir unter allen Umständen zu 100 Prozent sagen können, dass, wenn uns der Sturz der faschistischen Diktatur gelingt, dies schon mit dem Sieg der proletarischen Revolution direkt verbunden ist. […] Diese Feststellungen schließen jedoch […] keineswegs aus, dass der Kampf zum Sturz der Hitlerregierung gleichzeitig in den Kampf um die volle Macht des Proletariats umschlagen kann.
Hier darf es kein Schema geben, sondern nur eine dialektische Betrachtung. Weder legen wir uns darauf fest, die Hitlerregierung erst in dem Augenblick zu stürzen, wo die Situation schon für den vollen Sieg der proletarischen Revolution reif ist, noch lassen wir außer Betracht, dass […] die Fristen des revolutionären Aufschwungs und für die volle Entfaltung der revolutionären Krise heute viel kürzer sind als in den bisherigen Abschnitten der Geschichte des proletarischen Klassenkampfes.“

In diesen Gedanken Ernst Thälmanns steckten bereits die Ursprünge der späteren Volksfrontpolitik, dem Bündnis der kommunistischen Parteien mit allen antifaschistischen, d.h. auch bürgerlichen Parteien, Gruppen und Kräften gegen die offene faschistische Diktatur. 1935 wurde die Volksfrontpolitik auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale zur offiziellen, verbindlichen Politik aller kommunistischen Partien erklärt. Die Volksfrontpolitik war in der kommunistischen Weltbewegung nicht unumstritten. Der kommunistische Philosoph und Theoretiker August Thalheimer kritisierte die Volksfrontpolitik scharf, weil mit ihr der „Kampf um die volle Macht des Proletariats“ als Ziel des Klassenkampfes zugunsten des unmittelbaren Sturzes der faschistischen Diktatur in den Hintergrund gerückt worden sei. Diese Selbstbeschränkung der kommunistischen Parteien habe die revolutionäre Erhebung der Arbeiter- und Bauernmassen und damit Chancen zur sozialistischen Revolution verhindern, wie zum Beispiel im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass die Volksfrontpolitik die Zahl der antifaschistischen Kräfte bis in die Kreise der bürgerlichen Intelligenz hinein erheblich erweitert und den Einfluss der Kommunisten auch nach dem Sturz der faschistischen Diktatur 1945 vergrößert hat. Schließlich ist das geflügelte Wort Thomas Manns, „der Antikommunismus ist die Grundtorheit des 20. Jahrhunderts“, ein anschaulicher Beweis dafür, in welch hohem Maße die Volksfrontpolitik das Ansehen des Kommunismus international gehoben hat.
Ernst Thälmann hatte sein Referat noch nicht beendet, als die Tagung gegen 20.00 Uhr vorzeitig geschlossen wurde. Posten hatten vom Dachboden aus auf dem gegenüberliegenden Grundstück zwei Männer beobachtet, die womöglich der Rede des laut sprechenden Ernst Thälmann zugehört hatten. Als gegen 22.00 Uhr SA-Mitglieder den Tagungssaal betraten, konnten sie keinen der Tagungsteilnehmer mehr im Sporthaus Ziegenhals antreffen. Die Vorsicht war also nicht unbegründet. Ein Teil der KPD-Genossen wurde in den bereitstehenden Reisebussen zurück nach Berlin gefahren, ein anderer Teil überquerte den Krossinsee mit einem Kahn des Sporthauses zur nächste gelegenen Bahnstation. Unmittelbar im Zusammenhang mit der Tagung vom 07. Februar 1933 wurde keiner ihrer Teilnehmer von den Nationalsozialisten verhaftet; dem Terror der faschistischen Diktatur erlagen bis zu ihrem Ende dennoch viele. Unter diesen Opfern befanden sich namhafte Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung, wie Hans Beimler, der sich nach einer gelungenen Flucht aus dem KZ Dachau am Aufbau der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg beteiligte und in Spanien am 1. Dezember 1936 von einem deutschen Scharfschützen tödlich getroffen wurde; oder Georg Schuhmann, der zusammen mit Otto Engert den Aufbau der antifaschistischen Widerstandsgruppe „Nationalkomitee Freies Deutschland“ in Leipzig organisierte und deshalb am 11. Januar 1945 zusammen mit Otto Engert in Dresden hingerichtet wurde.

Auch Ernst Thälmann, ihren langjährigen Parteivorsitzenden, Genossen und oft auch persönlichen Freund, sahen viele KPD-Mitglieder an diesem 07. Februar 1933 gegen 20.00 Uhr, als er mit einem PKW vom Tagungsort zurück nach Berlin gefahren wurde, das letzte Mal. Nachdem am 27. Februar 1933 die KPD der Urheberschaft am Brand des Reichstages bezichtigt wurde und der Reichspräsident Paul von Hindenburg auf Veranlassung Adolf Hitlers einen Tag später die KPD mit der Notverordnung zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ verbot, wurde Ernst Thälmann am 03. März 1933 verhaftet und auf Befehl Adolf Hitlers am 18. August 1944 im KZ Buchenwald ermordet. Mehr als 11 Jahre hielten die nationalsozialistischen Machthaber Ernst Thälmann in Zuchthäusern und Konzentrationslagern gefangen, ohne dass sie es wagten, den Vorsitzenden der ihr am feindlichsten gesinnten Partei hinzurichten; so stark waren sie darum bemüht, ihr demagogisches Selbstbild einer rechtsstaatlichen und friedliebenden Partei gegenüber der deutschen und der Weltbevölkerung aufrecht zu erhalten; zu stark war das internationale Ansehen Ernst Thälmanns, für dessen Freilassung sich nicht nur Kommunisten, sondern auch bürgerliche Humanisten wie Romain Rolland öffentlich aussprachen. Der bekannteste Angeklagte der Reichstagsbrandprozesse in Leipzig, der bulgarische Kommunist und Vorsitzende der Kommunistischen Internationale Georgi Dimitroff betonte nach seiner Freilassung mehrmals die Notwendigkeit, dass auch Ernst Thälmann freigelassen werden müsse. Das Bataillon „Ernst Thälmann“ der XI., der deutschen, internationalen Brigade trug während der Verteidigung der spanischen Republik vor dem Francofaschimus seinen Namen, wovon noch heute das bekannt Lied „Spaniens Himmel“ Zeugnis ablegt. Erst als der Zweite Weltkrieg entschieden und das voraussichtliche Ende der faschistischen Diktatur unvermeidlich wurde, erfolgte die geheime Erschießung Ernst Thälmanns als grausame und späte Rache. Es ist deshalb durchaus nicht übertrieben, wenn Ernst Thälmanns von vielen Kommunisten und Antifaschisten über das Jahr 1945 hinaus als Symbolfigur des antifaschistischen Kampfes und Widerstandes angesehen wurde und wird. Sein Widerstand gegen das Bemühen der nationalsozialistischen Machthaber, dass er um den Preis seiner Freilassung dem Kommunismus abschwört und sich zum Nationalsozialismus bekennt, ist zweifellos ein sehr hohes historisches wie menschliches Verdienst, mit dem er unter persönlichen Leiden und Opfern seiner Rolle als Symbolfigur des kommunistischen Widerstandes gegen den Faschismus gerecht wurde.
Es ist richtig, dass seine Rolle als Vorsitzender der KPD historisch nicht gänzlich unumstritten ist. Rückblickend erscheint es fragwürdig, ob die politisch gewollte und staatlich beförderte Verehrung Ernst Thälmanns in der DDR im Ganzen politisch klug und zielführend war. Unter dem gut gemeinten Bemühen ,die Erinnerung an Ernst Thälmann aufrecht zu erhalten und durchaus auch von den Widersprüchen in der Vergangenheit und Gegenwart der kommunistischen Arbeiterbewegung abzulenken, hat man Ernst Thälmann wie viele Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung im Nachhinein zum „Kämpfer ohne Fehl und Tadel“, zu einer entmenschten politischen Persönlichkeit ohne persönliche Fehler stilisiert. Persönliche Fehler hat Ernst Thälmann wie jeder Mensch aber auch besessen. Und es ist auch äußerst zweifelhaft, dass sich der junge Hafenarbeiter aus Hamburg, der ab 1904 als Heizer auf einem Seefrachter arbeitete und dabei u. a. die USA bereiste, ein derart hohes theoretisches Wissen überhaupt aneignen konnte, das ihn befähigt habe zur „meisterhaften Anwendung der marxistisch-leninistischen Leitsätze auf die konkreten Entwicklungsbedingungen in Deutschland, [zu] unversöhnlichem Kampf um die Reinhaltung der marxistisch-leninistischen Theorie [und zum] unablässigen Bemühen um die Erhöhung des ideologisch-politischen Niveaus der Parteimitgliedschaft“, was ihn nach einem Beitrag des SED-Funktionärs Hermann Matern als einen „führenden Wissenschaftler und Revolutionär“ kennzeichne.
Dennoch muss man das Kind bei solcher Kritik an einer übertriebenen und unkritischen Verehrung Ernst Thälmanns nicht gleich mit dem Bade ausschütten und ist die Erinnerung an die Person Ernst Thälmann und seine historische Rolle durchaus gerechtfertigt. Der Parteivorsitz Ernst Thälmanns im August 1925 leitete in der KPD eine Phase der inneren Stabilität ein nach ihren schwierigen und wechselhaften Entstehungsjahren 1919-1924. Dies Entstehungsjahre waren vor dem Hintergrund der stürmischen Anfangsjahre der Weimarer Republik mit ihren Unruhen, Aufständen, Putschen und Krisen bestimmt von ständigen Wechseln der Parteiführung und ihrer jeweiligen Strategie und Taktik in der politischen Arbeit. Ernst Thälmann löste mit seinem Parteivorsitz 1925 Ruth Fischer und Arkadi Maslow in der Führung der KPD ab. Beide hatten nach den Erfahrungen des Krisenjahres 1923, der Inflation, des Ruhrkampfes, des gescheiterten Aufstandes in Hamburg und der Reichsexekutionen gegen die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen ab 1924 eine radikale Politik des bewaffneten Aufstandes und des unbedingten Drängens auf die proletarische Revolution verfolgt. Die Arbeit in den Parlamenten als Tribüne der Darlegung politischer Standpunkte und Programme und als Wirkungsstätte, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf parlamentarischem Wege zu verbessern, und die Arbeit in Gewerkschaften und Betrieben, in denen sich die tagtäglichen Kämpfe der Arbeiter um ihre wirtschaftlichen und politischen Rechte abspielen, waren vernachlässigt worden, wodurch die Partei an Anhängerschaft und Einfluss in der Arbeiterschaft verlor. Diese falsche Politik wurde mit dem Antritt Ernst Thälmanns als Parteivorsitzender überwunden. Unter seinem Vorsitzt erfolgte die Umgruppierung der Parteiorganisationen von Wohnbezirks- in Betriebsgruppen, wodurch die betriebliche Arbeit gestärkt und der Einfluss unter den Arbeitern und die Mitgliederzahl der Partei erhöht wurden. Mit dieser Umgruppierung erfolgte auch eine stärkere Einbeziehung der Parteimitglieder in die politische Arbeit. Mitglieder und Funktionäre der KPD wurden an die Beschlüsse der Partei gebunden und verpflichtet, diese Beschlüsse in der praktischen Arbeit und durch eigene Initiative umzusetzen, anstatt lediglich zahlende aber passive Mitglieder der Partei zu sein. Die KPD entwickelte sich auf diese Weise zu einer einflussreichen, aktiven und aktionsfähigen Massenpartei. Kennzeichnend für die Politik Ernst Thälmanns war darüber hinaus die verstärkte Anbindung an die Kommunistische Internationale und die Bindung an ihre Beschlüsse, weil kommunistische Politik im Zeitalter des modernen Kapitalismus nicht auf ein einzelnes Land beschränkt sein kann, sondern den internationalen Verflechtungen des Kapitals entsprechend international organisiert sein muss. Die Vernetzung der kommunistischen Parteien jeden Landes, der Austausch über die konkreten Bedingungen der Arbeit in jedem Land und die Erarbeitung einer gemeinsame und aufeinander abgestimmten Politik sind die lebensnotwendigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche kommunistische Politik im nationalen und Weltmaßstab.
Aber genau in dieser Politik liegen Lob und Kritik an der historischen Rolle Ernst Thälmanns widersprüchlich miteinander vereint. Denn was sein historisches Verdienst begründet, ist gleichzeitig Anknüpfungspunkt der Kritik an seiner Politik. Band Ernst Thälmann die Politik der KPD an die Beschlüsse der Kommunistischen Internationale, musste er damit zugleich deren Fehlentscheidungen verbindlich für die KPD übernehmen. Als in den späten 20er Jahren die Beteiligung der sozialdemokratischen Partei an den Lännder- und Reichsregierungen der Weimarer Republik und der Abbau wirtschaftlicher, sozialer und politischer Rechte durch diese Regierungen in der Kommunistischen Internationale als „Sozialfaschismus“ bezeichnet wurde, übernahm auch die KPD diese historisch falsche Beurteilung der Rolle der SPD. Die SPD als den Hauptfeind in der politischen Auseinandersetzungen zu betrachten, entpuppte sich nicht nur als schwerwiegende Unterschätzung der tatsächlichen Gefahr einer faschistischen Diktatur, sondern auch als das falscheste Mittel, den Einfluss der KPD unter sozialdemokratischen Arbeitern zu erhöhen und die Arbeiterparteien Deutschlands im Kampf gegen den Faschismus zu vereinen. Verbunden mit der Neugründung kommunistischer Gewerkschaftsverbände, den Roten Gewerkschaftsorganisationen (RGO), weil man den Führer der bestehenden Gewerkschaften misstraute und die Arbeit und Auseinandersetzungen mit den sozialdemokratischen Arbeiten innerhalb der Gewerkschaften für aussichtslos hielt, barg diese Haltung die akute Gefahr einer Isolierung der KPD von den Arbeitermassen in Betrieben und Gewerkschaften. Die These vom Sozialfaschismus und die Politik der RGO fanden auch in den Reihen der KPD scharfe Kritiker, die die Gefahr der Isolierung früh erkannten. Es zählt hier zu den bisher wenig beleuchteten Bereichen der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, dass die innerparteiliche Auseinandersetzung um diese Fragen praktischer kommunistischer Politik kaum inhaltlich-theoretisch, sondern administrativ geführt wurde durch Vergabe oder Entzug politischer Ämter und Parteiausschlüsse und begleitet war von einem starken Abbau innerparteilicher Demokratie. In der Gegenwart wird seitens bürgerlicher Kritiker oft die „Affäre Wittorf“ als Ausgangspunkt für eine sogenannte „Stalinisierung“ der KPD herangezogen. Aber so unsachlich und vereinfachend es einerseits ist, die komplizierte innerparteiliche Entwicklung der KPD der Weimarer Jahre aus einem einzigen Ereignis heraus erklären zu wollen, ohne Hintergründe, Entwicklungen und Widersprüche bei ihrer Beurteilung in Betracht zu ziehen, so aufschlussreich kann die „Affäre Wittorf“ auch für das richtige Verständnis dieser Ereignisse sein, wenn man sie historisch korrekt betrachtet.
John Wittorf war der politische Sekretär der Bezirksleitung der KPD in Hamburg Wasserkante, dem Bezirk, in dem auch Ernst Thälmann vor seiner Wahl zum Parteivorsitzenden tätig gewesen ist. Dass John Wittorf für private Zwecke Parteigelder unterschlagen hatte, war im Frühjahr 1928 Gegenstand einer nicht öffentlichen Sitzung der Bezirksleitung Hamburg Wasserkante unter Anwesenheit Ernst Thälmanns. Man einigte sich darauf, John Wittorf seines politischen Amtes zu entheben und die „Affäre“ nicht weiter an die Öffentlichkeit zu bringen. Für diese Geheimhaltung sprachen in der historischen Situation durchaus einleuchtenden Gründe. Die KPD befand sich inmitten der Wahlkämpfen zur anstehenden Reichstagswahl im Mai 1928 und in der öffentlichen Agitation gegen die Zustimmung des Reichskanzlers Hermann Müller (SPD) zum Bau des ersten deutschen Panzerkreuzers im August 1928. Allein die erste Zahlungsrate für den Bau des Panzerkreuzers betrug 80 Millionen Reichsmark, die die deutsche Bevölkerung zu bezahlen hatte. Diese politischen Vorhaben sollten nicht gefährdet werden, indem parteiinterne Auseinandersetzungen an die Öffentlichkeit kamen. Sie kamen aber an die Öffentlichkeit, weil sozialdemokratische Zeitungen unter Verweis auf die zwielichtige Rolle Ernst Thälmanns und ebenfalls aus politischer Motivation darüber berichteten. In einer ersten Reaktion setzte das Zentralkomitee der KPD Ernst Thälmann deshalb am 26. September 1928 als Parteivorsitzenden ab. Dass man die Entscheidung über den Umgang mit Ernst Thälmann in der KPD an dieser Stelle dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) als der übergeordneten Instanz und nicht den Delegierten eines Parteitages als höchstem Entscheidungsorgan der Partei übertrug, kann man mit Recht als Anzeichen bedenklichen Abbaus von innerparteilicher Demokratie betrachten. Dies entsprach aber andererseits auch der Logik, die sich aus der Anbindung der KPD an die Kommunistische Internationale in der konkreten historischen Situation ergab. Und das EKKI entschied sich, Ernst Thälmann erneut als Vorsitzenden der KPD einzusetzen, weil es sich mit der Wahl des Vorsitzenden für eine bestimmte Politik der KPD entscheiden musste, die von Ernst Thälmann vertreten wurde. Diesem Beschluss des EKKI entsprechend wurde Ernst Thälmann auf der 2. Parteikonferenz der KPD im November 1928 wieder als Parteivorsitzender eingesetzt. Parteiinterne Kritiker der These vom Sozialfaschismus und der Politik der RGO oder die sozialdemokratische Reichsregierung nutzten die in der Affäre Wittorf zu Tage getretenen Defizite parteiinterner Demokratie als Argumente für ihre Kritiken an der Politik der KPD unter der Leitung Ernst Thälmanns. Dass diese Angriffe nicht, wie es notwendig gewesen wäre, mit offenen Diskussion über die Strategie und Taktik der Partei, sondern administrativ, mit Parteiausschlüssen in großer Zahl beantwortet wurde, sollte einer kritischen, historischen Betrachtung unterworfen werden. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen allerdings weit in der zutiefst widersprüchlichen Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung begründet und lassen sich mit dem Stigma der „Stalinisierung“ der KPD schwerlich hinreichend beantworten. So erfolgten in den Jahren 1928 und 1929 viele Parteiausschlüsse und Parteiaustritte von Mitgliedern, die in Abweichung zur offiziell vertretenen politischen Linie der KPD standen und von denen sich viele im Dezember 1929 in der Kommunistischen Partei Opposition (KPO) zusammenfanden.
Zur historischen Wahrheit über Ernst Thälmann gehört allerdings auch, dass er einer derjenigen war, die in den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts angesichts der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und der aufmarschierenden Verbände des wirklichen Faschismus in der Kommunistischen Internationale auf eine Überwindung der schädlichen und falschen Sozialfaschismusthese drängten. Entsprechend seiner Loyalität gegenüber der Kommunistischen Internationale, fühlte er sich und die KPD an deren Beschlüsse gebunden, trat aber gleichzeitig für die Durchsetzung der richtigen Politik in der Kommunistischen Internationale ein. Der schließlich erfolgte Politikwechsel der KPD von der Polemik gegen den Sozialfaschismus zur antifaschistischen Einheitsfront aller Arbeiterpartei blieb letzenendes erfolglos, weil die Führer der SPD aus machtpolitischem Kalkül die Einheitsfront mit der KPD ablehnten, und viele sozialdemokratische Arbeiter, die noch vor wenigen Jahren von KPD-Mitglieder selbst als Sozialfaschisten beschimpft worden waren, den ehrlichen Angeboten der KPD zu gemeinsamen Aktionen misstrauten. Diese Bemühungen der KPD um eine Einheitsfront der Arbeiter gegen die wachsende Faschismus zu übersehen, wäre genauso falsch und unhistorisch, wie eine unreflektierte und unkritische Verehrung der historischen Rolle Ernst Thälmanns, welche die politischen Fehler der KPD in den späten 20er Jahren verschweigt.
Schließlich war und ist „Teddy“, wie Ernst Thälmann von Genossen und Freunden genannt wurde, für viele Kommunisten weit mehr als nur eine historische Persönlichkeit, sondern auch ein Mythos, der alle politischen und persönlichen Eigenschaften in sich vereint, die man von einem Vorsitzenden einer kommunistischen Partei erwarten möchte. „Teddy“ ist der robuste Arbeiter, der in Hamburgs Arbeitervierteln kapitalistische Ausbeutung, Armut und karges Leben durchlitten hat, der in harten gewerkschaftlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen zum klassenbewussten Arbeiter geformt wurde und der sich durch unermüdlichen Fleiß die Theorie des Marxismus-Leninismus angeeignet hat; „Teddy“ ist der Abgeordnete des Reichstages, der in seinen Reden kraftvoll und mit lauter Stimme die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Arbeiter verteidigt, unnachgiebig und schonungslos die kapitalistische Gesellschaft und ihre Politiker anklagt; „Teddy“ ist der Parteivorsitzende, den jeder Arbeiter zu jeder Zeit um Rat und Tat bitten kann, dem man offen und ehrlich Herz und Seele offenbaren darf, der die Zeitungen und Flugblätter eigenhändig redigiert, der dem Streikposten mit einem aufmunternden Lächeln kameradschaftliche die Hand schüttelt und der den Arbeiter am Wegesrand verteidigt vor den Übergriffen von Polizei und Staat; „Teddy“ ist der verfolgte und geschundene Kommunist, der in den Kerkern der Gestapo geduldig und standhaft sein Schicksal erträgt, seine Genossen in den Organisationen des Widerstandes trotz Folter und Tod niemals verrät und Treu bleibt den Idealen und der Sache der Arbeiter Deutschlands und der ganzen Welt. Wer mag also ermessen, wie viele Kommunisten in den 12 Jahren faschistischer Diktatur auf diese Weise unter unvorstellbaren Leiden Ängste, Schläge und Folter durchlitten haben; wie viele stumme heroische Schlachten mit der Versuchung und dem Wunsch nach Erlösung in Gestapokellern siegreich geschlagen wurden und wie viele Namen in solchen Schlachten niemals ausgesprochen wurden, weil „Teddy“ das selbe getan hätte? Wer mag ermessen, was vielen Kämpfern der Internationalen Brigaden, die ihre Leben ließen für die Verteidigung der Spanischen Republik, vielen Insassen der KZs Esterwegen, Sachsenhausen oder Buchenwald und vielen Mitgliedern antifaschistischer Widerstandsorganisationen der Name Ernst Thälmann als Mythos und Vorbild auch über das Jahr 1945 bedeutet hat und noch heute bedeutet? Denn auch diese Tatsachen, die nicht quantitativ in die Reihe der historischen Fakten eingeordnet werden können, sind Teil der Aspekte, die bei aller Weitschweifigkeit hier nur unvollständig dargelegt werden konnten und die für eine nicht kritiklose, nicht widerspruchsfreie aber angemessene und historische Erinnerung an Ernst Thälmann, den Vorsitzenden der KPD in den Jahren 1925-1933, sprechen.
 
20 Jahre nach der geheimen Tagung des Zentralkomitees der KPD wurde am 07. Februar 1953 im Sporthaus in Ziegenhals eine Gedenkstätte eröffnet in Erinnerung an die Ereignisse, die an diesem Ort am 07. Februar 1933 stattfanden, und im Gedenken an die Teilnehmer der Tagung, von denen viele die faschistische Herrschaft nicht überlebten. Das Sitzungszimmer wurde in der ursprünglichen Form rekonstruiert und mit Informationsmaterial und Bildern der Teilnehmer der Tagung behangen. Angehörige der Streitkräfte der DDR und Arbeiter des VEB Schwermaschienenbau „Heinrich Rau“ bargen und reparierten das Boot, mit dem ein Teil der Teilnehmer am Abend des 07. Februars 1933 den Tagungsort über den Krossinsee in Richtung Bahnstation verließ. Weil Ernst Thälmann auf der Tagung in Ziegenhals zum letzten Mal eine Rede an das Zentralkomitee der KPD hielt, wurde das Sporthaus in Ziegenhals gleichzeitig ein besonderer Erinnerungsort ein seine Person. Auf diese Weise war die Gedenkstätte in Ziegenhals mehr als 50 Jahre lang ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur der DDR und ihres kulturellen und geschichtlichen Erbes in der Bundesrepublik. 1990 ging die Immobilie des Sporthauses Ziegenhals in das Eigentum der Treuhandliegenschaftsgesellschaft über, wurde von ihr verpachtet und das Inventar der Gedenkstätte dem im gleichen Jahr gegründeten Freundeskreis „Ernst Thälmann Gedenkstätte“ e.V. Ziegenhals übergeben. Seither betrieb und betreute der Verein die Gedenkstätte und führte auf ihrem Gelände seit 1994 alljährliche Gedenkveranstaltungen durch. 1997 kündigte die Treuhandliegenschaftsgesellschaft den Vertrag mit der damaligen Pächterin und bot die Immobilie öffentlich zum Verkauf an unter der vom Protest es Freundeskreises erzwungenen Auflage, dass Bestand und Zugänglichkeit der Gedenkstätte von allen Pächtern, Eigentümern und Verwaltern der Immobilie gewahrt bleiben müssten. Ein damaliger Ministerialbeamte im brandenburgischen Bauministerium ersteigerte die Immobilie des Sporthauses Ziegenhals im Jahre 2002, verschloss die Gedenkstätte und forderte im August 2003, dass die Gedenkstätte von der Denkmalliste gestrichen und ihr Abriss ermöglicht würde. Obwohl der Freundeskreis „Ernst Thälmann Gedenkstätte“ e.V. Ziegenhals 2004 die Eintragung der Gedenkstätte in das Verzeichnis der Denkmale des Landkreises Dahme-Spreewald erwirkte, wurde der Abriss der Gedenkstätte 2005 vom Landkreis Dahme-Spreewald nach den Bestimmungen eines neuen Denkmalschutzgesetzes der brandenburgischen Landesregierung genehmigt. Zahlreiche Antifaschisten und Bürgerrechtler aus aller Welt unterstützten seither die Bemühungen und Aufrufe des Freundeskreis „Ernst Thälmann Gedenkstätte“ e.V. Ziegenhals um den Erhalt der Gedenkstätte. Der brandenburgische Ministerpräsident Mattias Platzeck drückte seine Haltung zum Erhalt der Gedenkstätte in Ziegenhals auf Anfrage mit den Worten aus: „Ich bin generell dafür, das Andenken an deutsche Arbeiterführer aufrecht zu erhalten … zumal wenn sie, wie – Ernst Thälmann – im Kampf gegen die faschistische Gewaltherrschaft ihr Leben gelassen haben, … der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte kann nicht der Rang eines nationalen Gutes eingeräumt werden.“
Am 08. Mai 2010 wurde der Abriss der Gedenkstätte des Sporthauses Ziegenhals vollzogen und mit ihm ein wichtiger und wertvoller Ort der Erinnerung an die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung für immer zerstört – am 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, 20 Jahre nach den Ereignissen, die oft als Wiedervereinigung Deutschlands bezeichnet werden, und im 2. Jahr seit Ausbruch der größten kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftskrise seit 1929.

Roman Stelzig

1 Kommentar:

  1. Den wesentlichen Hauptgedanken des Artikels entstammen aus:

    - Die illegale Tagung des Zentralkomitees der KPD am 7. Februar 1933 in Ziegenhals bei Berlin, Berlin 1988 (Schriftenreihe Geschichte).

    - Die illegale Tagung des Zentralkomitees der KPD am 7. Februar 1933 in Ziegenhals bei Berlin, Berlin 1970 (Museum der deutschen Geschichte).

    - Köhler, Otto: Er wußte, es würde kein Wunder geschehen, Tageszeitung „junge Welt“, Nr. 85, 12. April 2007.

    - Köhler, Otto: Der Bankrotteur mit dem zu kurzen Kragen, Tageszeitung „junge Welt“, Nr. 86, 13. April 2007.

    - Pätzold, Kurt: Denkzettel für Hindenburg, Tageszeitung „junge Welt“, Nr. 269, 19. November 2007.

    - Rügemer, Werner: Neuordnung der Monopole, Tageszeitung „junge Welt“, Nr. 14, 17./18. Januar 2009.

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