Freitag, 4. November 2011

Zenon und die Eleatik

Das historische Verdienst eines Philosophen ist oft nicht das Ziel, das er mit seiner Philosophie verfolgt hat. Das gerade Gegenteil seines Zieles – bewiesen zu haben, was er widerlegen wollte – macht die Beutung des Zenon von Elea (490-430 v. u. Z.) aus. Zenon von Elea war ein Schüler des Parmenides (um 540-480 v. u. Z.), und sein Denken darauf gerichtet, dessen Philosophie zu beweisen: Das Sein existiert ohne Bewegung.

Dieser Satz ist zwar falsch, aber die Philosophie des Parmenides sagt viel Richtiges. Er war der erste, der eine Antwort gab auf die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Denken: „Dasselbe aber ist Denken und des Gedankens Gegenstand. Denn du kannst das Denken nicht ohne das Seiende antreffen, im dem es ausgesprochen ist.“
2.500 Jahre sind diese Worte alt, und man kann ihren Wert nicht hoch genug schätzen: Denken und Sein sind identisch, und Das Sein existiert vor dem Denken.
1888 wird Friedrich Engels die Geschichte des Streits um die Frage, die Parmenides beantwortete, zusammenfassen mit den Worten: „Die große Grundfrage aller […] Philosophie ist die nach dem Verhältnis von Denken und Sein. […] Die Frage nach dem Verhältnis des Denkens zum Sein, des Geistes zur Natur, die höchste Frage der gesamten Philosophie […] [lautet:] Was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur? […] Die Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein hat aber noch eine andre Seite: Wie verhalten sich unsre Gedanken über die uns umgebende Welt zu dieser Welt selbst? Ist unser Denken imstande, die wirkliche Welt zu erkennen, vermögen wir in unsern Vorstellungen und Begriffen von der wirklichen Welt ein richtiges Spiegelbild der Wirklichkeit zu erzeugen? Diese Frage heißt in der philosophischen Sprache die Frage nach der Identität von Denken und Sein.“ Ihre Antwort liegt hier in der naiven Form vorsokratischer Philosophie einfach und klar vor uns.
Ein anderer Philosoph hatte die Frage in ähnlicher, aber anderer Form aufgeworfen, und dieser war ein großer philosophischer Widersacher des Parmenides:
Heraklit von Ephesus (um 540-480 v. u. Z.) Zentraler Begriff seiner Philosophie ist der Logos, das Weltgesetz. Den Logos, „der doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht, weder bevor sie davon gehört noch sobald sie davon gehört haben.“ „So vieler Reden ich auch gehört habe – keiner ist dahin gekommen, dass er einsähe, dass das Weise etwas von allem andern Abgesondertes ist“. Doch „was der Bewährteste erkennt und bewahrt, ist kein Wissen.“ Das Weise ist das Erkennen des Logos, der – „von allem andern Abgesondert“ – nicht sinnlich wahrnehmbar ist.
Ein Beispiel aus der Wissenschaft: Der Bewährteste kennt nur die Anzahl der Planeten um die Sonne, der Weise weiß um ihre Gravitation. Aber die Gravitation kann man nicht sehen, anfassen oder riechen. Woher wissen wir dann, dass es die Gravitation gibt? Wie sind die abstrakten Gesetzte der Natur für den Menschen erkennbar, obwohl man sie nicht unmittelbar sinnlich wahrnehmen kann? So stellte Heraklit die Frage nach Verhältnis und Identität von Sein und Denken.
Die Antworten, die spätere Autoren Heraklit in den Mund gelegt haben, klingen sehr abenteuerlich. Ob er tatsächlich der Meinung war, dass die Erkenntnis im Schlaf durch die Poren des Körpers in den Geist sickere, ist nicht entscheidend. Wichtig sind die Gedanken des Heraklit über das Wirken des Logos. Denn darin unterscheidet sich Heraklit grundlegend von Parmenides.
Das Wirken des Logos ist Sein, und Sein ist ewiges Werden und Vergehen aller Dinge. Der Ausdruck, alles fließt, charakterisiert den Seinsbegriff des Heraklits: „Alles Geschehen erfolge in der Form des Gegensatzes und alle Dinge seien in stetem Wandel begriffen … und die Welt entstehe aus dem Feuer und löse sich wieder in Feuer auf, in bestimmten Perioden, in stetigem Wechsel in alle Ewigkeit.“
Der Gründ für Werden und Vergehen – für das Wirken des Logos – ist der Gegensatz aller Dinge: „Alles geschehen erfolge infolge eines Gegensatzes.“ „Man muss wissen, dass der Kampf das Gemeinsame ist und das Recht der Streit, und dass alles Geschehen vermittels des Streites und der Notwendigkeit erfolgt.“ Der Logos führt die Gegensätze zusammen – wie das Männliche mit dem Weiblichen – lässt die Gegensätze ineinander übergehen – wie das Warme ins Kalte – und schafft die Identität von Gegensätzen, so wie Leben nicht ohne Tod, Friede nicht ohne den Krieg existiert.
Heraklit benannte als Urgrund aller Dinge das Feuer, das aber identisch ist mit dem Logos. Der Logos oder das Feuer ist nicht als Substanz zu verstehen ist, sondern als Prinzip, das den Dingen zugrunde liegt. Er überwand dadurch die ionische Naturphilosophie, die zwar auch von Werden und Vergehen der Dinge ausging, aber ein allen Gemeinsames, eine unveränderliche Substanz als Urgrund aller Dinge suchte. Es gelang Heraklit, die Bewegung und Gegensätzlichkeit des Seins in einer geschlossenen Philosophie zusammenzufassen.
Das aber war der Stein des Anstoßes für Parmenides. Dabei ist sein Argument scheinbar sehr einleuchtend: Denken bedeutete für Parmenides Ausschluss von Widersprüchen. Ein Gedanke ist falsch, wenn sich aus ihm gegensätzliche Aussagen ableiten lassen. Sein ist Nichtsein, Unendlichkeit ist Endlichkeit, Bewegung ist Ruhe, sind einander widersprechende Aussagen und können deshalb nicht wahr sein.
Und er wusste: Denken ist dasselbe wie des Gedankens Gegenstand. Die Eigenschaften des Denkens sind die Eigenschaften des Seins. Wahres Sein ist das, was wahr gedacht wird.
Heraklit behauptete aber: Das Sein aller Dinge ist ihr Werden und Vergehen. Sein ist, erwiderte Parmenides. Was ist, war immer, ist immer und wird immer sein. Was entsteht, war nicht, was vergeht, wird nicht sein. Was nicht war und nicht sein wird, ist auch nicht. Wenn, was entsteht und vergeht, nicht ist, und Heraklit recht hat, bedeutet das: Sein ist Nichtsein.
Für Parmenides war das keine wahre Aussage, und er entgegnete dem Heraklit: „Wohlan, ich will es dir sagen, welche Wege der Forschung allein denkbar sind. Du aber höre mein Wort und bewahr’ es wohl! Der eine zeigt, dass das Seiende ist und dass es unmöglich ist, dass es nicht ist. Das ist der Pfad der Überzeugung; folgt er doch der Wahrheit. Der andere aber behauptet, dass es nicht ist und dass es dieses Nichtsein notwendig geben müsse. Dieser Weg ist – das sage ich dir – völlig unerforschlich. Denn das Nichtseiende kannst du weder erkennen, denn das ist unmöglich, noch auszusprechen.“
Die Aussagen des Heraklit über das Sein konnten also nicht wahr sein. Das Gegenteil musste es sein: „[…] [D]ass es ganz und unbeweglich ist. […] Aber da das Seiende eine letzte Grenze hat [also nicht unendlich ist! – R. S.], so ist es nach allen Seiten hin vollendet, gleich der Masse einer wohlgerundeten Kugel, von der Mitte nach allen Seiten hin gleich. Denn es darf weder hier noch dort irgendwie größer oder kleiner sein. Denn es gibt ja nichts, was es hindern könnte, sich zusammenzuschließen, noch gibt es ein Seiendes, das hier mehr, dort weniger wäre als Seiendes. Denn es ist völlig unverletzlich. Denn der Punkt, wohin es von allen Seiten gleich weit ist, ist selber von den Grenzen gleich entfernt.“
Das wahre Sein ist unbeweglich, ist endlich, ist ohne Unvollkommenes, ich gleichmäßig, ist rund, ist Sein, ist nicht Nichtsein.
Das klingt auf den ersten Blick sehr paradox. Die Aussagen des Parmenides über das Sein sind tatsächlich nicht richtig. Aber es sind logische Schlüsse über den hochgradig abstrakten Begriff des Seins eines Menschen, der vor 2.500 Jahren gelebt hat, als noch die Götter den Olymp beherrschten! Dass dies gedacht wurde, obwohl es dem Offenkundigen widerspricht, ist an jenem Punkt ein großer Schritt in der Geschichte des menschlichen Denkens gewesen.

Für Zenon lautete nun die Aufgabe: Das muss bewiesen werden. Und der Schüler schmiedete seinem Meister ein scharfes Schwert. Das Instrument seiner Beweisführung war die Aporie, der ausgeschlossne Widerspruch. Bei dieser Methode nimmt der Argumentierende den Standpunkt seines Kontrahenten ein und leitet daraus logische Schlussfolgerunge ab, die sich widersprechen und nicht gleichzeitig richtig sein können. Platon berichtet über die Absicht und Methode des Zenon: „Wissen wir nicht, dass [Zenon] so kunstvoll disputierte, dass seinen Zuhörern ein und dasselbe Ding gleich und ungleich, als Eins und als Vieles, als bewegt und unbewegt erschien?“ „In Wahrheit will [Zenons] Schrift der Lehre des Parmenides zu Hilfe kommen, gegen diejenigen nämlich, die es unternehmen, ihn zu verhöhnen, indem sie ausführen, dass, wenn es nur ein einziges Seiendes gäbe, sich aus diesem Satz viele lächerliche Konsequenzen ergäben, die ihm selber widerstreiten. [Seine] Schrift kämpft also gegen diejenigen, die die Vielheit der Dinge behaupten, und zahlt ihnen mit gleicher Münze heim […]. [Seine] Absicht ist nämlich, das offenbar zu machen, dass die Voraussetzung [seiner] Gegner zu noch lächerlichen Konsequenzen führt als die Lehre von einem Seienden, wenn einer der Sache auf den Grund geht.“
Überliefert sind uns die Aporien des Zenon über die Teilbarkeit der Dinge, den Raum und die Bewegung.
Jeder Körper nimmt einen Raum ein. Wenn jeder Körper unendlich teilbar ist, müssen auch alle Teile des Körpers für sich einen Raum einnehmen. Eine unendliche Anzahl von Teilen, die einen Raum einnehmen, ergibt aber einen Körper von unendlicher Ausdehnung. Wenn die unendlichen Teile des Körpers aber keinen Raum einnehmen, besitzt auch der Körper keine Ausdehnung, weil die Summe von unendlichen Teilen, deren Ausdehnung Null beträgt, ebenfalls Null ist. Die Annahme von der Teilbarkeit der Dinge führt also zu den gegensätzlichen Schlussfolgerungen, dass jeder Körper zugleich unendlich klein und unendlich groß sei. Für Zenon ist die Aussage deshalb unwahr, und die Teilbarkeit keine Eigenschaft des Seins
Gegen die Existenz des Raumes wendet sich Zenon, indem er fragt: „Wenn der Raum etwas ist, worin wird er sein?“ „Wenn alles Seiende im Raum ist, so ist klar, dass es auch einen Raum des Raumes geben wird, und so fort bis ins Unendliche.“ Das hieße, dass der Raum sowohl endlich als auch unendlich ist. Und weil die Annahme des Raumes zu unwahren Aussagen führt, kann der Raum in Wahrheit nicht existieren.
Die Aporien Zenons über die Unmöglichkeit der Bewegung sind über den Namen ihres Entdeckers als kuriose Gedankenspiele bekannt geworden. Zu verdanken haben wir das Aristoteles. Er berichtet: „Es gibt vier Beweisgänge des Zenon betreffs der Bewegung […]: das erste dafür, dass eine Bewegung nicht stattfindet, ist das Argument, dass das Bewegte früher zur Hälfte des Weges gelangen muss als bis zu dessen Ende […].“ Weil das Bewegte zuerst die Hälfte der Hälfte eines Weges erreichen muss und jeder Abschnitt des Weges unendlich halbierbar ist, kann das Bewegte sein Ziel nicht nur niemals erreichen, sondern seinen Ausgangspunkt auch niemals verlassen.
„Der zweite Beweis ist der so genannte ‚Achilles’. Er gipfelt darin, dass das langsamste Wesen [die Schildkröte] in seinem Lauf niemals von dem schnellsten Achilles eingeholt wird. Denn der Verfolger muss immer erst zu dem Punkt gelangen, von dem das fliehende Wesen schon aufgebrochen ist, so dass das langsamere immer einen gewissen Vorsprung haben muss.“
„Der dritte Beweis ist […], dass der fliegende Pfeil ruht.“ Zu jedem Zeitpunkt seines Fluges nimmt der Pfeil einen Raum ein, der seiner Länge und Stärke entspricht. Die Bewegung des Pfeils ist die Summe seiner Raumeinnahmen. Bewegung bedeutet aber, sich nicht in einem Raum zu befinden. Oder: Einen Raum einnehmen, heißt, sich nicht zu bewegen. Die Bewegung des ist also die Summe seiner Ruhezustände. Ruhe plus Ruhe ergibt aber niemals Bewegung.
„Der vierte Beweis gründet sich auf Körpergruppen, die sich im Stadion in entgegengesetzter Richtung, als gleiche an gleichen, mit gleicher Schnelligkeit aneinander vorbeibewegen, die eine Gruppe vom Ende, die andere von der Mitte des Stadions aus, wobei, wie er meint, sich ergibt, dass die halbe Zeit gleich der doppelten sei!“ In einem Stadion befindet sich eine Reihe von stehenden Läufern (A1-4). Von beiden Seiten läuft jeweils eine zweite (B1-4) und dritte Reihe von Läufern (C1-4) in entgegengesetzter Richtung mit gleicher Geschwindigkeit an den stehenden Läufern vorbei. Die Reihe B1-4 läuft dann in derselben Zeit vorbei an der ganzen Reihe C1-4 und der halben Reihe A1-4. Unter diesem Gesichtspunkt wäre: 1 = 0,5 oder 4 = 2.
Auf diese Weise leitete Zenon aus der Annahme, dass Bewegung existiert, vier unwahre Aussagen hab. Damit schien der Beweis erbracht, dass die Annahme unwahr ist und das wahre Sein nicht in Bewegung sein kann.

Tatsächlich konnte Zenon mit den Ergebnissen seiner Aporien zufrieden sein. Denn es ist ihm gelungen, nachzuweisen, dass der Seinsbegriff des Parmenides die einzige Schlussfolgerung des logischen Denkens ist. Allerdings nur unter einer Voraussetzung: Zwei Aussagen sind unwahr, wenn sie sich einander widersprechen. Damit hat Zenon die antike Philosophie nicht nur entscheidend beeinflusst. Er hatte die ihm folgenden Philosophen vor die Herausforderung gestellt, das Offenkundige mit dem Logischen zu vereinen.
Die Atomisten lehrten, dass die Welt aus kleinsten Teilen besteht, die sich auf unterschiedliche Weise abstoßen und vereinen und dadurch die Vielfalt der einzelnen Dinge hervorbringen. Sie übernahmen damit einen Teil der Seinsvorstellungen des Parmenides, nämlich, dass das Sein nicht entsteht und vergeht. Neue Fragestellungen und Erkenntnisse konnten dadurch gewonnen werden. Aber das Problem der Zenonschen Aporien war auch dadurch nicht gelöst. Viele Denker beriefen sich auf Zenon. Viele Denker wollten ihn widerlegen. Aber für Jahrtausende hat keiner die tatsächliche Bedeutung seiner Philosophie richtig verstanden.
Nicht einmal Zenon selbst. Doch auf dem damaligen Stand des Denkens war das nicht möglich. Die vorsokratische Philosophie war begriffliches Denken. Jeder Begriff bezeichnet Dinge des Seins, indem er seinen Inhalt definiert und damit von anderen Begriffen abgrenzt. Im begrifflichen Denken sind z. B. Ruhe und Bewegung Bezeichnungen für zwei gegensätzliche, einander widersprechende Zustände. Das ist nicht falsch, sondern notwendig, um die Welt überhaupt begrifflich zu erklären. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Tatsächlich treten die Begriffe in der Wirklichkeit nicht getrennt voneinander auf. Ruhe existiert z. B. nur in Abhängigkeit zu einer Bewegung. Und die Bewegung eines Körpers lässt sich, wie Zenon richtig bemerkte, nur beschreiben als die Aneinanderreihung (unendlicher) Ruhezustände. Beide Begriffe bezeichnen zwar etwas Gegensätzliches, ihre Inhalte treten aber in der Wirklichkeit nur als Einheit auf, die sich aufeinander beziehen.
In der Wirklichkeit sind die Dinge und sind die Dinge nicht. Sein ist Nichtsein. Das ist die konzentrierte Formulierung dieser Einheit der Gegensätze. Das Sein ist das, was allen Dingen gemeinsam ist und sich durch nichts von anderen Dingen unterscheidet. Es ist nicht definiert, durch nichts konkret bestimmt. Was aber durch nichts konkret bestimmt ist und keine Definition besitzt, ist nichts. Dann ist Sein Nichtsein. Wenn das Nichts aber etwas ist, dann ist es. Und dann ist Nichtsein Sein.
Das begriffliche Denken definiert die Begriffe zwar, indem es sie voneinander abgrenzt, kann sie aber in der Wirklichkeit nicht mehr als Einheit fassen. Ironie oder Dialektik des Denkens: Zenons Aporien richten sich letzten Endes gegen ihre eigene Voraussetzung, dass zwei widersprüchliche Aussagen nicht gleichzeitig wahr sein können. Denn erst von diesem Standpunkt aus ergeben sich zwar logische, aber scheinbar widersinnige Schlussfolgerungen.
Die große Herausforderung des Zenon an die Philosophie lautete: Wie kann das Denken die Dinge des Seins begrifflich voneinander trennen und gleichzeitig ihre Gegensätze als Einheit denken; wie kann es die Dinge mit feststehenden Begriffen definieren und gleichzeitig in ihrer Veränderung und in ihrer Bewegung begreifen?
Die vorsokratische Philosophie war bestimmt von naiven und unvollkommenen Formen des Materialismus und der Dialektik. Die Bereiche des Denkens, die Wissenschaften hatten sich noch nicht voneinander getrennt. Die Gelehrten der Antike waren Naturwissenschaftler, Erfinder, Politiker und Philosophen in einer Person. In den philosophischen Fragen nach dem allgemeinen Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt kamen die antiken Philosophen nicht auf den Gedanken, von anderen Vorraussetzungen auszugehen als in ihrer Betrachtung der Natur. Der Gedanke des Parmenides, dass Denken dasselbe wie des Gedankens Gegenstand sei, ist zwar genial, aber der unbewusste Reflex auf seinen Standpunkt bei der Erforschung der Natur. Seine wahre Bedeutung konnte Parmenides noch nicht begreifen. Denn er wusste nicht, dass die Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein auch auf andere, gänzlich entgegengesetzte Weise beantwortet werden könnte. Um das zu wissen, hätte er in der Lage sein müssen, die Begriffe von den Dingen loszulösen, das Denken als Substanz dem Sein entgegen zu stellen und als Ursprung des Seins aufzufassen.
Die Vorsokratiker hatten nämlich noch nicht das Maß an Abstraktionsfähigkeit erreicht, um in ihrem philosophischen Denken nicht von den Erscheinungen der Natur auszugehen. Ihre geringe Abstraktionsfähigkeit hinderte sie daran, in ihren Vorstellungen über das Sein über das rein begriffliche Denken hinauszugehen. Die ionischen Naturphilosophen erkannten, dass die Dinge um sie herum in Bewegung sind, wie Blitze am Himmel vergehen und entstehen. Und auch sie trennten die Bewegung der Dinge und ihre Vielheit von der Ruhe und von der Einheit des Seins. Ganz natürlich begannen sie das Philosophieren mit der Suche nach einem unveränderlichen, ruhigen Urgrund aller Dinge.
Um einen Abstraktionsgrad zu erreichen, der es ermöglicht, die Einheit der Widersprüche gedanklich zu fassen, musste der sinnlich-konkrete Ursprung der Philosophie überwunden werden. Zenon hatte die Widersprüchlichkeit der Begriffe quantitativ bis an den Punkt entwickelte, an dem zur Lösung der Probleme nur noch blieb: Der Sprung des Denkens in eine höhere Qualität der Abstraktion.
In der antiken Philosophie bedeutete dieser Schritt, dass die Begriffe von den Dingen, die sie bezeichnen, löst wurden. Die Idee als Substanz wurde geboren und das Denken endgültig vom Sein getrennt. In diesem Sinne war die Ideenlehre des Platon, des Begründers des objektiven Idealismus, eine Konsequenz der Zenonschen Aporien.
Im diesem „Reich der Ideen“, im philosophischen Idealismus, entwickelte sich über Jahrhunderte das begriffliche Denken zum dialektischen Denken. Vollendet wurde dieser Prozess von Georg Friedrich Wilhelm Hegel, und von Karl Marx wieder vom Kopf auf die Füße gestellt. Erst dadurch löste sich die scheinbare Widersinnigkeit der Aporien des Zenon auf in die tatsächliche Einsicht in die dialektische Einheit der Widersprüche.
Und in der langen Geschichte des dialektischen Denkens gebührt Zenon von Elea die Ehre, als Erster den Gegensatz von begrifflichem und dialektischem Denken offenbart zu haben.


Roman Stelzig

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Mittwoch, 30. März 2011

Spam

das Flugzeug fliegt aus dem belagerten Wien.
ich lebe im Sternbild Europa. die Fenster
verändern ihr Make-up - die Küchenfrauen sind
zu einem Aufstand bereit. die Gespräche sind kurz
wie einzelne Schüsse. die Muslime schlagen sich durch
zur Moschee - hinter ihnen ihre Schatten wie Teufel.
es ist hell - als ob die Millionen Sonnen reif wurden,
als ob sich der Papst zum Napoleon erklärte.
die Jeans des Himmels riss vor Anstrengung -
es glänzen die Arschbacken Gottes.
die Burka ähnelt einer Pferdedecke -
hier und da spazieren die Zentauren, angespannt hinter Kinderwagen.
der Computervirus infiziert mein Herz;
Europa hüllt sich in die Burka der Nacht.
und dieser Text ist bloß eine Werbeanzeige. 

von Sergej Tenjatnikow

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Donnerstag, 20. Januar 2011

freie Interpretation des Abendessens in einem Dönerladen

die Sonne überfliegt die Stadt
wie ein Tennisball den Spielplatz
und fällt als Fleck auf die grüne Tapete.
die Badewanne des Himmels füllt sich mit Wasser.
als ob das Gericht mit Trennung gewürzt wäre.
Zutaten: Kohl, Möhren, Fleisch, Zwiebel.
Regen kratzt am Fenster, reibt auf der Reibe
des Sonnenuntergangs rote Bette.
draußen ist 50 Grad Fahrenheit -
nicht zu heiß, nicht zu kalt. der Teller
leert sich wie Antalya nach der Hochsaison.
der Gast, bewaffnet mit Messer und Gabel,
lässt Zwiebelringe übrig.
der Türke fühlt sich im Laden eingeengt.
der Besucher schließt die Tür, die Sonne
erlischt wie Licht im Kühlschrank.
mit der Schürze um den Leib geht
der Janitschar zum Integrationskurs.

von Sergej Tenjatnikow

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Mittwoch, 8. Dezember 2010

Heimkehr oder Handel auf der Tokioter Börse

wenn das durch befleckte Empfängnis gezeugte Europa
die Dunkelheit mit Lichtern zu messen versucht,
öffnet ein japanischer Ninja-Roboter
seinen blauen Laptop wie den Sonnenaufgang.
auf dem Bildschirm dreht sich der Planet wie eine Kugel
im Kugellager des Sonnensystems.
und ein alter Rikschafahrer chauffiert eine Prostituierte
von ihrer Schicht zum Tokioter Stadtrand.
ihre Augen sind klar. sie ist frei.
sie würde sich gerne in den Kunden
verlieben, der Bond so ähnelt...
er spielt aber nicht in Liebesfilmen.
sie würde wie eine echte Schauspielerin
all den Zuschauern verzeihen, die ihrer Kunst
und ihrem Film nicht glauben wollen...
sie bezahlt den Rikschafahrer mit Reis
und steigt zum Himmel auf, wo Flugzeuge Kokainstreifen ziehen.

von Sergej Tenjatnikow

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Reinkarnation

der Mond hängt über dem Wald wie ein nacktes Ziffernblatt,
aus den Gebäudefenstern ragen trockene Äste der Industrie...
der Reichsführer kapselte sich in einer Gummizelle
wie in einem Bunker ab
und schreibt ein Testament...
(er zeichnet die Transsib auf der Karte wie ein Auslandstourist.)
der Dschihad ist für ihn nichts Neues. und Göbbels wie ein Transformer
im weißen Panzer würde eher sterben als Westberlin aufgeben.
wo Oder und Neiße zu einem Cocktail
namens Bloody Mary zusammenfließen,
fallen die Türken ins russische Hinterland ein.
der Schnee deckt das Blut auf der Flagge Polens zu,
und über all dem ist Jesus gekreuzigt in einem schwarzen Loch.
der Himmel drückt die Sterne wie überreife Pickel aus.

du wachst auf... und siehst mit geschlossenen Augen,
wie über dir ein Rabe kreist.
aus dem Wasserhahn im Bad fließt Kohlendioxid.
du wünschst dir, das alles nie wieder zu sehen...
das Handtuch ist aber voll Blut.

von Sergej Tenjatnikow

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Dienstag, 12. Oktober 2010

Der Abend

Der Abend nähert sich der Kehle matt,
das Wort nicht gesprochen und fad,
worüber reden? - Noch fremd ist die Stadt,
das Fenster ein schwarzes Quadrat.

Ein Haus drüben, das and're im Blick -
gelb von Van Goghs Ärger übermannt -
erscheint wie Karton ohne Geschick
herausgeschnitten von Kinderhand.

Belanglosigkeit, sinnloses Schweifen,
schwarzes, schematisches Männchen auf Wegen
des Fußgängerzebras satten Streifen
geht stets - erreicht stets nicht - einem entgegen.


вот и вечер подступает к горлу
словом нерасказанным... о чём нам
говорить – чужой пока что город
и окно висит квадратом чёрным

в доме, что напротив, и другое –
жёлтое ван гоговым безумством –
точно из картона безыскусно
вырезано детскою рукою...

и зачем-то, никуда не годный,
чёрный схематичный человечек
по полоскам зебры пешеходной
всё идёт – всё не дойдёт – навстречу....


Original: Yelena Inozemtseva
Interlineare Übersetzung: Katharina Januschweski
Nachdichtung: Franz Vogt

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Montag, 9. August 2010

Die deutsche Misere (Robert Merle: Der Tod ist mein Beruf)

Der Roman „Der Tod ist mein Beruf“ ist ein Buch, das abstoßend und anziehend zugleich ist. Abstoßend sind die Geschehnisse, die der Roman im letzten Drittel seiner Geschichte behandelt: Es ist die Geschichte eines Massenmordes, des größten und unvorstellbarsten Massenmordes der Geschichte der Menschheit. Die Beschreibung dieser Ereignisse wird umso unerträglicher für den Leser, je sachlicher sie erfolgt, je mehr der planmäßige Mord an 2,5 Millionen Menschen zu einem technischen Problem pervertiert, dessen Lösung in „Einheiten pro Tag“ gemessen wird. Denn das größte Verbrechen der Menschheit war mehr als ein dummer Bubenstreich eines Wahnsinnigen. Es lies sich nicht mit einem Federstrich durchführen und es bedurfte dazu mehr als unbändigen Hasses und gewissenloser Skrupellosigkeit. Wer innerhalb von 5 Jahren 2,5 Millionen Menschen töten möchte, muss die Gesetze der Natur überlisten und technische Herausforderungen meistern wie die Baumeister der Kathedrale von Florenz. Und wie für die größten kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften der Menschheit bedurfte es auch für ihre schrecklichste Tat besonderer Menschen, die bereit waren, sich jenen Herausforderungen zu stellen, die die Natur durch ihren Einfallsreichtum überlisteten und Lösungen fanden für nahezu unlösbare Probleme. Damit stoßen wir an die Anziehungskraft des Romans, die aus der menschlichen Neugierde entspringt, zu erfahren, wer diese Menschen waren, die bereit waren, den schrecklichsten Alptraum der Menschheit Wirklichkeit werden zu lassen.
Einer jener Pioniere des Grauens war Rudolf Franz Ferdinand Höß, der seit Mai 1940 die Funktion des Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz ausübte und damit für die Durchführung des befohlenen Mordes an 2,5 Millionen Menschen verantwortlich war. 1947 wurde Rudolf Höß in den Prozessen gegen Kriegsverbrecher in Nürnberg zum Tode verurteilt und hingerichtet. Aus den psychologischen Gutachten zu seiner Person und seinen Aussagen vor Gericht und in Verhören geht hervor, dass Rudolf Höß kein Mensch war, der einen äußerlich erkennbaren Hang zur Brutalität besessen hat. Er war in der Erfüllung seiner Aufgaben gewissenhaft und getrieben von Ordnungssinn und Pflichtbewusstsein. Für die Gewissenhaftigkeit, mit der er die ihm aufgetragenen Befehle ausgeführt hat, empfand dieser Mensch keine Reue und kein Schuldgefühl, und die Frage nach Sinn und Inhalt der Befehle, die er empfangen hat, betrachtete er als unrealistisch für einen Offizier der SS.
Der französische Schriftsteller Robert Merle war von diesem Psychogramm, das er über Rudolf Höß vom amerikanischen Gerichtspsychologen Gustav M. Gilbert gelesen hatte, dermaßen schockiert, ergriffen und vielleicht auch fasziniert, dass er sich 1950 entschloss, das Leben dieses Lagerkommandanten literarisch zu verarbeiten in einem Roman, gewidmet „den Opfern jener, deren Beruf der Tod ist.“ Teils literarisch erfunden, teils historisch recherchiert erzählt Robert Merle in der Form einer fiktiven Autobiografie das Leben Rudolf Langs alias Rudolf Höß und liefert damit ein einmaliges, kenntnisreiches und geniales Psychogramm der Unmenschlichkeit.
„Alles, was Rudolf Lang tat,“ charakterisierte Robert Merle seine Romanfigur, „tat er nicht aus Grausamkeit, sondern im Namen des kategorischen Imperativs, aus Treue zum Führer, aus Respekt vor dem Staat. Mit einem Wort, als ein Mann der Pflicht: und gerade darin ist er ein Ungeheuer.“ Diese sprichwörtliche „Niebelungenträue“ war es, in der Rudolf Lang zahlreichen anderen ausführenden Kadern des Nationalsozialismus ähnelte. Sie ist Ausdruck der tief verwurzelten persönlichen und geistigen Unselbstständigkeit dieses Menschen, der als ängstliches Kind niemals den Mut und die Kraft aufbringt, sich von der väterlichen zu tiefst autoritären puritanisch-protestantischen Erziehung zu lösen. Er nutzt zwar die erste Gelegenheit zur Flucht vor der elterlichen Bevormundung, indem er sich 1916 im Ersten Weltkrieg einem Dragonerregiment für den Kriegsdienst in der Türkei anschließt. Diese Rebellion gegen die häusliche Autorität verschafft ihm aber nicht die notwendige Selbständigkeit im Geiste. Im Gegenteil, sie lehrt ihn, wie einfach es ist, Befehle auszuführen und sich der Verantwortung für die eigenen Taten zu entziehen. Umso mehr leidet das orientierungslose Kind in dem jungen Offizier unter den Ereignissen und Folgen der deutschen Novemberrevolution. Denn es ist keine bewusste Loyalität mit der Monarchie, kein politisches Bewusstsein, dass ihn in den Anfangsjahren der Weimarer Republik zu einem Feind der Revolution werden lässt, sondern die Erfahrung des persönlichen Scheiterns in einer Situation, die ihn zwingt, selbständige Entscheidungen zu treffen und selbstbestimmt zu handeln. Doch als die Verzweiflung über die Orientierungslosigkeit so groß ist, dass er bereit ist, seinem Leben ein Ende zu setzten, trifft ihn der Ruf jenes Mannes, der sich als neuer Führer des deutschen Volkes betrachtet: „Wer sich der Verzweiflung hingibt, desertiert angesichts des Feindes. Die Pflicht jedes deutschen Mannes ist, für das deutsche Volk und das deutsche Blut zu kämpfen und zu sterben, wo immer er steht.“ Und Rudolf Lang folgt diesem Rufer, weil er ihm gibt, was Rudolf Lang am meisten im Leben benötigt: Führung, Pflicht, Befehle und den Erlass jeglicher Verantwortung für das eigene Handeln.
Und mit Rudolf Lang folgte ein ganzes Bürgertum, das bereit war, diesem Rufer die politische Macht, die Befehlsgewalt und jegliche Verantwortung zu übergeben in dem Augenblick, in dem es für den Erhalt der von Krisen zerrütteten Republik einer historischen Tat bedurft hätte. Der Faschismus ist keine deutsche Erfindung. Entstanden ist die faschistische Bewegung in Italien, Nachahmung fand sie außer in Deutschland in Spanien, Rumänien und anderen Staaten. Aber die unbedingte Brutalität seiner Ausgestaltung, die Steigerung der Unmenschlichkeit bis an die Grenzen des technisch möglichen und die Einbeziehung der ganzen Welt in den blutigsten aller Kriege der Menschheit entsprangen deutschem Geist, der geistigen Unreife oder der politischen Infantilität des deutschen Bürgertums.
Dieses Bürgertum glich seine ganze Geschichte über jenem kindlichen Erwachsenen, der sich niemals der elterlichen Autorität emanzipieren konnte; es glich jenem Rudolf Lang, der zwar in jugendlichem Überschwang rebellierte, um anschließend nur noch tiefer in die Obhut der Autorität zu fliehen. Als das deutsche Bürgertum mit der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden ist, konnte von einem deutschen Staat noch lange nicht die Rede sein. Seit den Tagen des Dreißigjährigen Krieges 1618-48 war das Deutsche Reich in seiner ökonomischen Entwicklung um ca. 100 zurückgeworfen und die kaiserliche Zentralgewalt geschwächt. Zur Herausbildung eines deutschen Zentralstaates nach dem Vorbild des französischen Hofes Ludwigs XIV. oder des britischen Königs Heinrich VIII. war es in den deutschen Fürstenstaaten niemals gekommen. So entwickelte sich das deutsche Bürgertum im Schoße territorialer Kleinstaaterei und fürstlichen Egoismus' heraus. Die absolutistischen Schranken, in die es gefangen war, und die staatliche Beengtheit des Handels und Warenaustausches in den deutschen Staaten bedingten die wirtschaftliche Schwäche des deutschen Bürgertums, die wiederum Ursache seiner politischen Schwäche war. Der Begriff der deutschen Kulturnation ist wohl im Grunde nicht mehr als eine Scheinphrase, die verschleiern soll, dass das deutsche Bürgertum die für die Herausbildung des Kapitalismus so wichtige staatliche Einheit aus eigener Kraft in Deutschland niemals herstellen konnte. Auf dem Gebiet der Philosophie, der Kultur und der Kunst entwickelte das deutsche Bürgertum sein Klassenbewusstsein auf ausschließlich ideologische Weise; für historische Taten fehlten ihm stets Kraft und Wille. Hegels Philosophie war ihrem Wesen nach eine revolutionäre Philosophie, ihrer äußeren Erscheinung nach diente sie ihm zur Legitimierung des preußischen absolutistischen Staates; Goethe, der Dichterfürst der deutschen Nation, war beteiligt an der Kanonade von Valmy nicht als Revolutionär, sondern als Mitglied der europäischen Koalitionstruppen gegen die französische Revolution. So war sich das deutsche Bürgertum seiner historischen Aufgabe, den Absolutismus in Deutschland zu stürzen und die nationale Einheit Deutschlands herzustellen, niemals in vollem Maße bewusst und blieb unfähig, ihr gerecht zu werden. In den Napoleonischen Kriegen kämpften deutsche Kleinstaaten gegen deutsche Kleinstaaten und die militärischen Erfolge Napoleons waren zu einem großen Teil Ergebnis der deutschen Rückständigkeit. Die Hoffnung auf Reformen und nationale Einheit, die das Bürgertum in der kurzen historischen Phase der Europäischen Befreiungskriege zum gemeinsamen Kampf mit den europäischen Fürsten veranlasst hatte, blieb unerfüllt und wurde zerschlagen von der harten Hand des Absolutismus in Gestalt des Fürsten von Metternich auf dem Wiener Kongress im Jahre 1815. Restauration und Reaktion der Jahre 1815-1840 waren letzten Endes der verdiente Lohn für den genügsamen Glauben des deutschen Bürgertums, die staatliche Einheit und die politische Macht vom Absolutismus auf dem Tablett serviert zu bekommen. Die Zeit, in der das deutsche Bürgertum eine progressive Rolle in der deutschen Geschichte gespielt hatte, war mit dem Wiener Kongress beinahe beendet. Hatten ihm bis 1815 die wirtschaftliche und politische Macht zum Kampf mit dem Absolutismus gefehlt, gesellte sich hierzu bald die Angst vor der eigenen Courage und den abzusehenden Folgen einer politischen Revolution als Gründe für die Trägheit des deutschen Bürgertums. Die französische Revolution und die Julirevolution des Jahres 1830 hatten dem deutschen Spießbürger vor Augen geführt, dass eine Revolution nur möglich ist durch Bewaffnung des Volkes und damit durch die Bewaffnung jener gesellschaftlichen Kräfte, die neben der politischen auch die wirtschaftliche Gleichberechtigung, neben dem Sturz der Krone auch den Sturz des Geldbeutels forderten. Die Folge dieser nun wirklich infantilen Angst vor der eigenen Courage und Verantwortung war das Scheitern der Revolution der Jahre 1848/49, in der sich das Parlament in der Paulskirche geradezu selbst erniedrigte, indem es dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone anbot, der diese Offerte brüsk zurückwies, weil er es für unwürdig hielt, von einem Parlament die Krone zu empfangen. In dieser historischen Situation glich das deutsch Bürgertum einem ängstlichen, erwachsenen Kleinkind, das sich spontan erhebt und rebelliert, ohne selbst genau zu wissen, warum und mit welchem Ziel. Hatte das englische Bürgertum 1649 Karl I. vor dem englischen Volk für die Folgen zweier blutiger Bürgerkriege verantwortlich gemacht und gerichtet; hatte das französische Bürgertum 1793 in der Stunde der größten Schwäche der Revolution das Schwert erhoben und mit einem entschlossenen Hieb alle absolutistischen Kräfte einschließlich Ludwigs XVI. von der historischen Bühne gefegt; das deutsche Bürgertum zuckte erschrocken zusammen vor den Folgen einer scheinbar allzu unliebsamen Rebellion und zog sich eilends zurück in den behütenden Schoß des preußischen Absolutismus, nachdem dieser sich zu einigen leeren Versprechen hatte erweichen lassen. Und der preußische Absolutismus war es schließlich auch, der dem deutschen Bürgertum 1871 auf dem Amboss seiner Herrschaft mit Blut und Eisen schmiedete, was zu erkämpfen seine historische Aufgabe war: Die nationale Einheit Deutschlands. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck mag unbewusst gespürt haben, dass der preußische Absolutismus die vom Bürgertum getragene Industrialisierung brauchte, um seine Macht zu erhalten und auszubauen, und er wusste, dass das Bürgertum für die Entfaltung der Industrie die nationale Einheit benötigt. So war es nicht die historische Tat eines entschlossenen Bürgertums, sondern die Knute des Absolutismus, die die deutsche Einheit, die deutsche Industrialisierung und mit ihr die Blüte des deutschen Kapitalismus hervorgebracht hat. Und diese Knute des preußischen Absolutismus gebar einen Kapitalismus der innenpolitisch höriger und unselbstständiger war als jeder andere europäische Kapitalismus, der zugleich aber außenpolitisch um so vorlauter und frecher und um so aggressiver auftrat, wenn es galt, den Lebensnerv unschuldiger Völker für die eigene Bereicherung rücksichtslos auszulöschen. Was dem deutschen Bürgertum 1849 in der Frankfurter Paulskirche zur Durchsetzung seiner eigenen Interessen an Entschlossenheit fehlte, holte es 1900 und 1904 willig nach, als es für deutsche Kapitalinteressen und unter dem Banner deutscher Weltherrschaftsansprüche galt, die Aufstände der Boxer in China und des Stammes der Herero in Deutsch-Südwestafrika blutig niederzuschlagen. Schließlich konnte man sich bei diesen Gelegenheiten ungeschoren dafür hergeben, unschuldige Menschen grausam niederzumetzeln, ohne selbst die Verantwortung übernehmen zu müssen für die Taten, die eine kaiserliche Autorität angeordnet hatte.
Und so war jenes infantile deutsche Bürgertum entstanden, das kein einziges Mal in der Geschichte fähig gewesen ist zu einer historischen Tat geleitet von einem selbstständigen Geist und eigener Verantwortung; das sich freiwillig einer absolutistischen Autorität unterwarf, die das Bürgertum andere Nationen längst entschlossen von sich gestoßen hatte; das sich willig in die beiden verheerendsten Kriege des 20. Jahrhunderts hat führen lassen mit der Aussicht auf satte Gewinne und gleichzeitiger Entbindung von jeder persönlichen Verantwortung; jenes Bürgertum, das Charaktere wie Rudolf Lang alias Rudolf Höß hervorgebrachte: Männer der Pflicht, die gerade darin die größten Ungeheuer waren.
Auf diese Weise ist Robert Merles Roman mehr als ein durchdachtes Psychogramm der Unmenschlichkeit. Es ist auch ein Psychogramm deutscher Geschichte, das von Robert Merle auf geniale Weise beobachtet und gestaltet wurde. Diese Beobachtungsgabe des Verfassers macht „Der Tod ist mein Beruf“ trotz der Grausamkeit seines Gegenstandes zu einem lesenswerten Buch, das bis in die Gegenwart hinein manchen erhellenden Gedanken zur deutschen Geschichte und Gegenwart liefern kann.

von Roman Stelzig

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Freitag, 6. August 2010

Der Stern

Wie jenes Kücken eben aus dem Nest gefallen
ins schmerzhafte, finstere, teilende Tal
versucht dieser Stern am Himmel sich festzukrallen,
doch größer und tiefer fortwährend die Qual.
Sein Licht fern im Dunkel der Nächte verblasst
der Wunsch erstarrt unerfüllt, taurig, trocken,
der Schnee fällt zum Stern mit erstarkender Hast,
auf Handflächen schmelzen die ersten Flocken.
Hundertvierzig Laternen im Dunkel führen
qualmen, räuchern, verbrennen restlos als Stück,
Erwachsensein, zwei Schritte hin zu den Türen,
zwei - über die Schwelle, und niemals - zurück.

как тот птенец, что выпал из гнезда,
и – всё больней, всё дальше, всё разлучней....
страдает одинокая звезда -
всё мается и мается падучей.
всё падает, который день подряд,
и всё никак желанья не исполнит,
а звездопад заменит снегопад,
и первый снег растает на ладони.
и будет ночь в сто сорок фонарей
чадить, коптить сжигая безвозвратно
приметы взрослости: два шага до дверей,
два – за порог, и никогда – обратно.

Original: Yelena Inozemtseva
Nachdichtung: Franz Vogt
Interlineare Übersetzung: Katharina Januschewski

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Donnerstag, 8. Juli 2010

der alte Mann und das Meer

im Notizbuch ist ein wenig Platz für Musik übrig geblieben...
und die Zigarre löst sich langsam wie ein verkrampfter Muskel.
das Meer singt allerlei - jedem nach seinem Gehör.
der alte Mann setzt ein Mundstück seinem Saxophon auf
und wirft die Musik aufs Meer wie ein Lasso.
er saugt am Mundstück wie an einem Strohhalm -
trinkt Mojito.
das Meer riecht auf einmal nach Minze.
das Saxophon flüstert dir ganz leise ins Ohr:
"Kuba bleibt bei dir für immer..."

von Sergej Tenjatnikow

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American Dream

legst du einen Dollar unter dein Kissen -
träumst du von Washington oder New-York.
dort studieren Newsmaker Börsenberichte wie die Thora,
und jeder Präsident ist mindestens ein Prophet.
dort stirbt Zucker langsam in einer Tasse Cappuccino,
die Sonne scheint das ganze Jahr in Hollywood der Welt zum Verdruss.
dort kommen keine Putschisten an die Macht,
und Wahlen sind familiär und warmherzig.

dort zeichneten Wissenschaftler Pläne für Jahrhunderte im Voraus.
dort weiß jeder aus dem Lehrplan, was die friedliche Kernkraft kostet,
und was tun, dass in Afghanistan die Preise auf Heroin wieder steigen,
und warum Rosen in Georgien und Tulpen in Kirgisistan welkten.
dort haben Antiglobalisten keine Furcht vor Kapitalismus oder NATO.
und ein Zeppelin überfliegt die Häuser wie ein Luftkuss.

dort sind wie noch nie und nirgends Rede und Meinung so frei,
und Rapper improvisieren die Verfassung.
dort ist das Öl für Broker Elfenbein wert,
das in Tankern zu hartem Rum reift.
nachts laufen dort am Horizont Filme.
und Zuschauer träumen vom Hudson und Mississippi.
dort haut Tom Sawyer mit Huckleberry Finn von zu Hause ab,
um einen Joint zu rauchen mit Chingachgook,
der lebt wie der letzte Hippie.

von Sergej Tenjatnikow

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Montag, 28. Juni 2010

Buena Vista Social Club

die hochbetagte karibische Dame,
am linken Bein den Strumpf heruntergerollt,
so dass es scheint als würde sie hinken,
geht die Gaslaternen entlang,
setzt sich auf den Stuhlrand,
raucht an und schweigt.
und bloß die Krümmung des Himmels
lastet auf ihren sonnengebräunten Schultern.


die hochbetagte karibische Dame
raucht als ob sie auf Raten küsst.
der grauhaarige Gitarrist biegt exzessiv sein Handgelenk;
er ist heute betrunken wie nur Gott betrunken sein könnte.
der Gitarrist schleppt die Dame ab
wie üblich am Happy End.
die Kamera zoomt auf ein Schälchen
Zigarettenstummel, markiert mit rotem Lippenstift.

Sergej Tenjatnikow

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die Mondäne

die Mondäne alterte in Havanna
zusammen mit den Kolonialvillen – für immer.
sie sitzt auf dem Balkon mit Blick zum Meer,
wo zu ihrer Jugend schlappohrige Segelboote
das Gehör anstrengten. und heute schwimmen Seifenreste
und mehr noch klappert das Meer selbst wie mit schmutzigem Geschirr.
und der Mondäne scheint, dass jener Teil der Welt
hinter den Horizont getrieben wurde,
wo weiße Gesichter das Salz des Nordens wie des Südens waren.

die Mondäne alterte auf dem Balkon
mit Blick zum Meer, wo früher Möwen zum Blues tanzten.
und heute gellen die Tanker in den Ohren wie stumpfe Sägen
und Wellen schäumen unter ihnen hervor.
die Mondäne sitzt auf dem Balkon und raucht so schön.
sie füllt das Glas mit der Fledermaus
bis zum Horizont, nippt und schließt die Augen…
sie träumt, dass Michael Jackson
mit seinem Moonwalk die Erde rückwärts dreht.

Sergej Tenjatnikow

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Dienstag, 22. Juni 2010

Die Methode - Ein Film von Marcelo Piñeyro

Madrid um die Wende zum 21. Jahrhundert: Auf den Straßen der Hauptstadt tobt der ursprüngliche, spontane Klassenkampf der Globalisierungskritiker und Gegner der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Demonstrationen, Massenproteste, brennende Autos, Straßenschlachten und eine Polizei, die mit unbarmherziger Härte gegen die Demonstranten vorgeht. Derweil in einer der obersten Etagen eines der Madrider Wolkenkratzer – In einem Elfenbeinturm in Wolkenkuckucksheim, könnte man vermuten. Doch was hier geschieht, ist nicht weniger real als die Demonstrationen auf der Straße. – schmiedet das Kapital seine Waffen, hält Heerschau und sammelt sich zur Wahl seiner Feldherren.
Zugeben, das ist eine martialische Sprache für das, was der argentinische Regisseur Marcelo Piñeyro in seinem Film „Die Methode“ auf feinere und subtilere Weise dargestellt hat. In einem Sitzungssaal des fiktiven Großkonzerns DEKAI sammeln sich sieben Menschen, die nach einem umfassenden Verfahren dazu auserwählt wurden, eine letzte Auswahlrunde für die Besetzung eines Managerpostens des Konzerns zu bestehen. Die angewandte Methode zur Wahl des geeigneten Kandidaten ist die sogenannte „Grönholm-Methode“. Gesucht wird bei dieser Methode nicht nach beruflicher Qualifikation oder persönlichen Fähigkeiten, sondern nach der geeigneten psychologischen Verfassung für eine Laufbahn in den Chefetagen des kapitalistischen Großkonzerns. Den Teilnehmern steht es frei, den Sitzungssaal und damit die Auswahlrunde zu verlassen; wer bleibt, muss sich den Regeln beugen. Und die lauten: Der Gruppe werden Aufgaben und Fragen gestellt, die alle Teilnehmer entweder gemeinsam oder gegeneinander lösen müssen. Wer die gestellten Aufgaben nicht erfüllen kann oder von der Gruppe dazu bestimmt wird, muss das Verfahren verlassen und die Hoffnung auf den zur Wahl stehenden Posten für immer fallen lassen.
Was auf diese Weise von Marcelo Piñeyro inszeniert und von sieben brillanten Schauspielern in einem spannungsgeladenen Kammerspiel in etwa 115 Minuten dargestellt wird, ist eine Neuauflage von „Kabale und Liebe“. Zwar nicht in der Darstellung des Milieus. Das Drama Friedrich Schillers aus dem Jahre 1784 schildert den moralischen und geistigen Zustand der spätfeudalen Adelsgesellschaft. Aber ihrem Inhalte nach schildern beide den moralischen und geistigen Verfall einer untergehenden aber dennoch herrschenden – oder herrschenden aber dennoch untergehenden? – Klasse, ihre Intrigen und ihre Winkelzüge.
Der Film verdeutlicht auch, dass man nicht in die vulgäre Weltsicht verfallen sollte, die Protagonisten und Agenten des Kapitals hätten es allzu leicht in ihren Rollen. „Schweißtriefend bückt sich der Mann, der das Haus baut, in dem er nicht wohnen soll. Aber es schuftet schweißtriefend auch der Mann, der sein eigenes Haus baut.“ (Brecht) Die ökonomische Konkurrenz des Kapitalismus zwingt nicht nur Millionen Menschen in Hunger und Elend, treibt nicht nur Millionen Menschen in den Tod durch Krieg und Terror, lässt nicht nur die Polizeiknüppel auf die empörte aufbegehrende Masse hernieder prasseln; sie verlangt auch von den Protagonisten der ökonomischen und politischen Macht: "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!" (Dante) Was für die Teilhabe am den Massen der arbeitenden Menschen entzogenen Mehrprodukt erwartet wird, ist nicht mehr und nicht weniger als unbedingte Loyalität, die Beseitigung aller persönlicher moralischer Skrupel bis zur Selbstaufgabe im Dienste der Klasse. So scheitert etwa der junge, aufstrebende und engagierte Enrique im Auswahlverfahren nicht an der Bereitschaft zur Unterordnung, zu moralischer Verfehlung und zum persönlichen Verrat. Woran er zerbricht ist die Suche nach der moralischen Instanz außerhalb von sich selbst, die ihn psychologisch nicht dazu befähigt, die vorauseilende Loyalität und Unterordnung aus sich selbst heraus zu beziehen. In der Sphäre der Macht, in die er aufsteigen möchte, reicht es nicht mehr, Befehle zu befolgen, man muss den Verrat schon selbst wollen. Denn die Herrschaft duldet keinen Zweifel.
Am Ende ist der Sieger dieses zynischen Spektakels nicht unbedingt der Gewinner. Er hat als einziger erreicht, wonach alle strebten, um den Preis dessen, was er eigentlich einmal zu gewinnen hoffte. Man fühlt sich erinnert an den adornoschen Odysseus, der sich zehn Jahre seines Lebens mit den Göttern stritt, um sein freies Leben zu gewinnen, und für den Zweck seiner Odyssee schließlich mit diesem Zweck selbst bezahlen musste: Seine Lebenszeit. So pervertiert schließlich beim Karrierismus der Protagonisten wie alles in der kapitalistischen Produktionsweise das ursprüngliche Mittel zum eigentlichen Zweck: Aufgestiegen auf der Karriereleiter wird nicht mehr, um zu leben, sondern gelebt wird, um die Karriere voran zu bringen, und in den Tempeln des sozialen Aufstiegs wird den Göttern der Gegenwart geopfert, was zu bewahren sie einst geschaffen wurden: das Leben.
Mit dieser Darstellung der geistigen Entfremdung der herrschenden Eliten des Kapitalismus liefert Marcelo Piñeyro mehr als nur ein psychologisch durchdachtes Kammerspiel. Es geht in dem Film nicht schlechthin um die abstrakte Frage, wozu Menschen moralisch fähig und auf welche Weise sie manipulierbar sind losgelöst von den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie leben. Wer die Handlung des Filmes in einem solchen allgemein-menschlichen Sinne interpretiert, beraubt sie ihres eminent politischen Gehaltes. Es handelt sich bei dem Film „Die Methode“ um nichts anders ein Porträt der herrschenden Klasse und ihrer Agenten, um die Entlarvung dessen, was sonst nur hinter verschlossenen Türen geschieht. Es geht um die Feststellung, dass den demonstrierenden Massen der Straßen eine reale Macht gegenübersteht, die nicht nur eine Chimäre weltfremder Verschwörungstheoretiker ist, sondern die, wie Brecht sagt, Namen, Adressen und Gesichter besitzt und die ihr Denken ableitet aus einer Herrenmenschenideologie und deren Handeln bestimmt wird vom Imperativ der absoluten Befreiung von jeglichen moralischen Skrupeln. Man kann die Protagonisten bedauern der objektiven Zwänge wegen, denen auch sie unterlegen sind und die sie beständig zwingen, sich selbst zu entfremden; Mitleid, Nächstenliebe, Menschlichkeit, moralische Skrupel, Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gerade in den Belangen der Erhaltung von Natur und Menschen gegen profitorientierte kapitalistische Ausbeutung sollte man von ihnen dennoch nicht erwarten.
Statt dessen deutet Marcelo Piñeyro in der Schlusssequenz seines filmischen Kunstwerkes, das herkömmlichen Hollywood-Produktionen zwar medial unterlegen ist, die es aber an geistigem Gehalt, künstlerischer Gestaltung und schauspielerischer Leistung um Längen überragt, das Moment der Überwindung des dialektischen Antagonismus der kapitalistischen Gesellschaft mitsamt der Entfremdung der herrschenden Eliten an: Die vorletzte verbliebene Person verlässt niedergeschlagen und angefüllt mit den seelischen Trümmern aus dem verlorenen Kampf den Tempel der Macht und betritt die Straßen Madrids, die gesäumt sind von brennenden Autos und übersäht mit den Spuren der soeben geschlagenen Klassenschlacht. Und es scheint, als flüsterten die brennenden Autos dem die Straße entlang und vorbeigehenden Menschen ins Ohr: „Schwer ist der Weg.“ Aber! „Es gibt nur diesen einen.“ (Johannes R. Becher)

Roman Stelzig

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Montag, 14. Juni 2010

Staat und Revolution

als die Transsib* von ihren Zügen müde wurde,
machte Marx Urlaub auf einer Staatsdatsche.
die Pioniere traten dem NATO-Pakt bei
und investierten ihr ursprünglich akkumuliertes Kapital in die D-Mark.
der Klassenkampf wurde vom klassischen Ringkampf abgelöst,
und Pop-Musik drang aus allen Fenstern in die Seele ein.
die Kommissare bekehrten die Arbeiterklasse zum neuen Glauben,
und die lose Zeit gebar uns wie einen misslungenen Witz.

als sich die Adler im kaviarroten Kreml einnisteten,
schnarchte der Engelschor im Himmel.
das Sein war wie zu einer zarten Creme geschlagen,
und du standest nach Milch und Brot in der Schlange.
Aurora zielend mit ihrem Geschütz
wankte wie ein betrunkener Milizionär,
Panzer wurden den Soldaten zum reinen Karma.
und Lenin gegossen aus Schokolade schmolz auf dem Sockel
mitten in der Stadt.

* Transsibirische Eisenbahnstrecke
von Sergej Tenjatnikow

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Dienstag, 1. Juni 2010

Ziegenhals - Hintergründe, Geschichte und Ende einer Gedenkstätte

Als am 07. Februar 1933 zwei angetrunkene Männer den Hauptsaal des Sporthauses in Ziegenhals betraten, hätte nur ein Eingeweihter erkennen können, welche Gefahr von den beiden zufällig eintreffenden Menschen für die Anwesenden im Sporthaus ausging. Deutlich war die laute und erregte Stimme eines Redners durch die verschlossene Tür des dem Saal benachbarten Zimmers zu hören: „...stellen die Frage des Kampfes für den Sturz der Hitlerregierung, die Frage der Beseitigung der Hitler-Hugenberg-Regierung als unmittelbare Aufgabe. Wir stellen sie in jeder Stunde...“ Da unterbrach das beherzte Einschreiten eines weiteren Saalgastes die beiden aufmerksam gewordenen Männer beim Zuhören. Er scherzte mit ihnen, verwickelte sie in Gespräche und lud beide auf Bier in ein anderes Lokal in der Nähe ein. Die beiden Männer willigten ein und unter Scherzen und Lachen verließen alle drei gemeinsam den Saal des Sporthauses, während sich in den Gesichtern der im Saal zurückbleibenden Menschen sichtlich die Anspannung löste.
Etwa zur gleichen Zeit saß im nicht weit entfernten Ort Niederlehme Otto Franke als Vorsitzender der Revisionskommission der Gemeindekasse mit seinem Bürgermeister in einer Besprechung über den Zustand der Gemeindekasse, die er extra für diesen Tag einberaumt hatte. Gelegentlich unterbrachen Anliegen und Meldungen von Mitarbeitern, Beamten oder Parteigenossen die Besprechung. Otto Franke hörte bei jeder Unterbrechung aufmerksam zu, ob in einem der Gespräche der Ort Ziegenhals genannt wird. Aber nichts, was er während der Besprechung mit dem Bürgermister zu hören bekam, weckte seine Aufmerksamkeit. Der Ort Ziegenhals blieb ungenannt. Die Beamten, Parteigänger und Anhänger der Regierung des neu ernannten Reichskanzlers Adolf Hitler schienen ahnungslos über das, was sich zu diesem Zeitpunkt im kleinen Sitzungssaal des Sporthauses Ziegenhals abspielte.
Adolf Hitler war eine Woche zuvor, am 30. Januar 1933, vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum neuen Kanzler der Weimarer Republik ernannt worden. Paul von Hindenburg war zwar ein erklärtet Gegner der republikanischen Staatsform, ein Anhänger Adolf Hitlers und dessen Programms vom „nationalen Sozialismus“, hinter dem sich zahlreiche junge Arbeiter, Arbeitslose, verarmte Landarbeiter, Bauern und Mitglieder der vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschicht sammelten, war er dennoch nicht. Die Ernennung Adolf Hitlers erfolgte nicht aus freiem Willen, Paul von Hindenburg wurde gedrängt von führenden Vertretern der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft. Bereits am 19. November 1932 hatte ihn eine Eingabe erreicht, die vom ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht verfasst und u.a. von Fritz Thyssen und 18 weiteren Vertretern der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft unterschrieben und in der vom Reichspräsidenten gefordert worden war, „die größtmögliche Volkskraft hinter das Kabinett“ zu bringen. Damit war keine andere Partei gemeint als die NSDAP, die nach der Eingabe „gegen das bisherige parlamentarische Regime“ eingestellt war und bei den Reichstagswahlen am 06. November 1932 die meisten Stimmen hinter sich hatte vereinen können. Paul von Hindenburg war dieser Aufforderung zunächst nicht nachgekommen und hatte am 02. Dezember 1932 Kurt von Schleicher zum Reichskanzler der Weimarer Republik ernannt. Obwohl die persönlichen Gründe Paul von Hindenburgs, warum er Adolf Hitler schließlich doch in das Amt des Reichskanzlers berief, damit verborgen bleiben, ist deutlich erkennbar, dass sich hinter dieser Entscheidung wirtschaftliche und politische Interessen der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft verbargen.
Am 24. Oktober 1929, dem „Schwarzen Donnerstag“, hatte der rapide Fall der Aktienkurse des Dow-Jones-Index in den USA die bis dahin umfassendste Überproduktionskrise der kapitalistischen Produktionsweise eingeleitet. Die internationalen Märkte, die in den Konjunkturjahren nach dem Ersten Weltkrieg gewachsen waren, waren mit Waren überschwemmt, nach denen schon seit langem keine Nachfrage mehr bestand. Die Konzerne und Unternehmen waren gezwungen, ihre Waren zu Preisen zu verkaufen, die unter den Produktionskosten lagen, oder in Lagerhallen zu horten, bis die Sättigung der Märkte überwunden und neue Nachfrage entstanden war. Doch bis das hätte geschehen können, hätte Zeit ins Land fließen müssen und mit ihr das Geld und Kapital der Unternehmen, die einer nach dem anderen der sich verschärfenden ökonomischen Konkurrenz erlagen und Konkurs anmelden mussten. Finanzspekulationen hatten ihr übriges getan, dass der Produktions- bald auch die Finanzkrise gefolgt war, die sich mit dem Bankrott der österreichischen Kreditanstalt am 11. Mai 1931 auch über Europa zu verbreiten drohte. Um den Erscheinungen der Überproduktionsprise kurzfristig entgegen zu wirken und künstliche Nachfrage zu erzeugen, waren Kredite vergeben, deren nomineller Wert real nicht gedeckt war, der Eigenkapitalanteil von Unternehmen gesenkt und mit Verschuldung und Spekulation auf zukünftige Gewinne produziert worden. Am 23. Juni 1931 war der Bremer Spinnereikonzern„Nordwolle“ den Folgen der Aufdeckung von Bilanzfälschungen erlegen, die der Konzern betrieben hatte, um seine wahre wirtschaftliche Situation zu verschleiern. Der Konzern war nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Darmstädter und Nationslbank (Danatbank) nachzukommen, die zugleich Miteigentümer des Konzerns war und die deshalb ebenfalls am 13. Juli 1931 Konkurs hatte anmelden müssen. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkreise hatte damit das deutsche Reich erreicht und sich fortgesetzt, als die völlige Überschuldung weiterer Banken und Konzerne bekannt wurde, die reihenweise ebenfalls Konkurs anmelden mussten. Es hatte nun gegolten, den drohenden Kollaps des gesamten Währungs- und Finanzsystems des Deutschen Reiches zu verhindern, falls Kleinsparer, Anleger und Gläubiger aus Angst, ihre getätigten Einlagen nicht zurück zu erhalten, auf einmal sämtlich Investitionen zurück fordern sollten, zu deren Garantie die Danatbank längst nicht mehr in der Lage gewesen war. Der Staat hatte einspringen müssen als Retter und Bürge. 50 Millionen Reichsmark hatte Reichskanzler Heinrich Brüning der Danatbank als kurzfristige Unterstützung zugesichert, Ausfallbürgschaften für alle Verbindlichkeiten der Bank übernommen und der Schwerindustrie zum Ankauf von Aktienkapital der Danatbank 35 Millionen Reichsmark vorgestreckt.
Auf diese Weise waren der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft Gelder zugeflossen, die der deutsche Staat auf andere Weise einsparen musste. Heinrich von Brüning war mit dem Beinamen „Hungerkanzler“ in die Geschichte eingegangen als der Reichskanzler der Weimarer Republik, unter dessen Kanzlerschaft massive sozialpolitische Einsparungen erfolgt waren. Mit Hilfe von Notverordnungen, d.h. gesetzgeberischen Befugnissen des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, hatte Heinrich Brüning an der Kontrolle des Parlamentes vorbei Maßnahmen durchgesetzt wie die Erhöhung der Einkommenssteuer um 5% und die Erhöhung der Beitragszahlungen zur Arbeitslosenversicherung um 4,5% bei gleichzeitiger Kürzung der Leistungen von Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Die Gehälter der staatlichen Beamten waren um 6% gesenkt und im staatlichen Wohnungsbau 200 Millionen Reichsmark eingespart worden. Diese Einsparpolitik war erfolgt, während die Zahl der Opfer der Wirtschafts- und Finanzkrise und die von ihr verursachte Not wuchsen und wuchsen. Mittelständische und Kleinbetriebe, Geschäfte oder kleine Händler waren der ökonomischen Konkurrenz erlegen und hatten Konkurs angemeldet, weil Aufträge und Nachfrage ausgeblieben waren und sie ihren Zahlungsverpflichtungen nicht hatten nachkommen können. Die Konzerne, deren Eigenkapital ausreichte, der Krise standzuhalten, hatten sparen und Arbeitskräfte in großer Zahl entlassen müssen. 1932 hatte die Zahl der arbeitslosen Bevölkerung des Deutschen Reiches die Marke von 6 Millionen überschritten. Mit dieser Masse von Menschen, die ihrer materiellen, klassenmäßigen Grundlage beraubt waren; mit den Arbeitern, die keinen Arbeitsplatz fanden und ihre Arbeitskraft nicht zum Gelderwerb verkaufen konnten, mit der verarmten Landbevölkerung, die Hof und Acker nicht mehr bewirtschaften konnten und verkaufen mussten, mit den Kleinbetrieben, deren Eigentümer ihren Besitzt verloren und sich in die Scharen der Arbeitslosen einreihten oder selbst Lohnarbeit suchen mussten, mit den Intellektuellen und Künstlern, die die Produkte ihrer geistigen Arbeit nicht mehr verkaufen konnten, mit den Beamten, Soldaten und Angestellten des Staates, deren Arbeitsplätze gestrichen wurden und die ihrer Privilegien verlustigt gingen; mit dieser Masse von Menschen hatte der bürgerlich-demokratische Staat der Weimarer Republik mehr und mehr die materielle Voraussetzung seiner Existenz verloren: Eine genügende Masse von Wählern, deren materielles Leben mit dem wirtschaftlichen und politischen System der Republik verbunden war und die sich deshalb immer wieder zur Wahl bürgerlicher republikanischer Parteien entschieden hatten, deren Programm auf den Fortbestand der kapitalistischen Produktionsweise unter der republikanischen bürgerlichen Staatsform ausgerichtet war.
Zwei Parteien hatten in den Ausgangsjahren der Weimarer Republik an Bedeutung gewonnen, deren Anhängerschaft stetig wuchs. Die Kommunistisch Partei Deutschlands (KPD) hatte in den Reichstagswahlen im November 1932 16,9% Wählerstimmen gewonnen, die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) 33,1%. Das Programm der KPD zielte darauf ab, die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden und in eine sozialistische, gesellschaftlich organisierte und geplante Produktionsweise umzuwandeln, in der kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr bestehen sollte, indem der bürgerliche republikanische Staat abgeschafft und an seiner Stelle ein Staat aufgebaut würde, in dem die Arbeiterklasse im Bündnis mit allen werktätigen Schichten, d.h. Bauern oder Kleinbetrieben, die politische Macht nicht nur formal durch Wahlen, sonder tatsächlich ausüben sollten. Das Programm der KPD zielte damit auf die Überwindung des Wirtschaftssystems der Weimarer Republik, das die Ursache für die Krise der Wirtschaft und die Not der Menschen war, bei gleichzeitigem Erhalt und Ausbau des demokratischen und sozialen Gehaltes ihrer bürgerlich-demokratischen Staatsform.
Die entgegengesetzte Zielrichtung verfolgte das Programm der NSDAP. Ihre ursprüngliche Programmatik, Rhetorik und Erscheinung enthielten zwar zahlreiche Elemente des Antikapitalismus und der Arbeiterbewegung. Auf diese Weise war es der NSDAP gelungen, große Teile der verarmten Landbevölkerung, des Mittelstandes, der Arbeiterschaft und der Arbeitslosen als Anhängerschaft und Mitglieder zu gewinnen. Diese antikapitalistischen Elemente waren aber nur scheinbarer und demagogischer Natur, um die Massen für die Ideen eines „nationalen Sozialismus“ zu gewinnen. Ihrem eigentlichen Wesen nach zielten Programm und Politik der NSDAP auf den unbedingten Erhalt der kapitalistischen Produktionsweise durch der Errichtung einer faschistischen Diktatur. Anschaulichen Beweiß davon liefert das Engagement des ehemaliges Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schachts für die Finanzierung der NSDAP, der u.a. am 18. März 1932 an den Eigentümer der Gutehoffnungshütte Paul Reusch schrieb: „Das Wahlresultat vom 13. März wird sie nicht darüber täuschen, dass die politische Rechtsentwicklung in Deutschland unaufhaltsam fortschreitet und dass die nationalsozialistische Partei bei einer solchen Rechtsentwicklung nicht zu umgehen sein wird. Unser aller Sorge ist dabei die Frage der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik. […] Mir ist deshalb die Idee gekommen, ob nicht (…) der Versuch unternommen werden sollte, die nationalsozialistischen Wirtschaftsideen in vernünftigem Sinne zu beeinflussen.“ Diese Beeinflussung erfolgte in den darauf folgenden Monaten mit der Pointe, dass der inzwischen erneute Reichsbankpräsident und zum Reichswirtschaftsminister aufgestiegene Hjalmar Schacht 1934 den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Mitbegründer der NSDAP und Verfasser des NSDAP-Prateiprogramms Gottfried Feder kurzerhand seiner Ämter enthob und vor die Tür setzte. Was die Massen der Wähler und Anhänger trotzt Fortbestehen des Kapitalismus bei der Stange halten sollte, waren die Einbeziehung in die Massenorganisationen von Partei und Staat und eine Ideologie, die auf Chauvinismus und Rassenhass basierte und im „jüdischen Bolschewismus“ den Verursacher und Schuldigen der Wirtschafts- und Finanzkrise des Kapitalismus erblicken sollte. So bedeutete die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 u.a.: Einbindung der Arbeiter und Arbeitslosen in die kapitalistische Produktionsweise durch Massenorganisationen der Partei und des Staates, völlige Zerschlagung der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen, die Liquidierung ihrer politischen Führer, Extraprofite und Einsparung von Lohnkosten durch Zwangsarbeit in Konzentrations- und Arbeitslagern, Eroberung neuer Absatzmärkte und Rohstoffquellen und die Überwindung der kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrise durch Staatsaufträge, Rüstungsproduktion und Krieg.
Das war die historische Situation, in der sich die KPD über die veränderten und neuen Bedingungen ihrer politischen Arbeit klar werden und Aufgaben, Ziele und Methoden ihrer Politik für die Zukunft bestimmen musste. Zu diesem Zweck fanden sich am 07. Februar 1933 etwa 40 Mitglieder das Zentralkomitees und andere Funktionäre der KPD zu einer geheimen Tagung zusammen. Als Tagungsort wurde ein Sporthaus bestimmt, dessen Eigentümer Wilhelm Mörschel seit ihrer Gründung selbst Mitglied der KPD war. Das Sporthaus befand sich in Ziegenhals am Ufer des Krossinsees, nahe des kleinen Ortes Zeuthen im Südosten Berlins. Bereits die Anfahrt der Tagungsteilnehmer war verdeckt organisiert worden und erfolgte auf verschlungenen Pfaden. Jeder Teilnehmer erhielt eine Einladung, auf der jeweils ein anderer Ort und ein Zeitfenster von 15 Minuten vermerkt waren, An diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt bekam Eingeladene den Zeitpunkt und als zentralen Treffpunkt die Sternwarte Treptow genannt. Dort führte das KPD-Mitglied Arthur Lange, der als Astronom in der Sternwarte angestellt war, die als Besuchergruppe getarnte Gruppe Menschen durch die Sternwarte, auf deren Dach sie schließlich die Information erhielt, dass Reisebusse sie als geschlossene Reisegruppe zum Tagungsort Ziegenhals fahren würden. Während der Tagung sicherten drei Gruppen Parteigenossen die nähere Umgebung des Sporthauses, damit die Teilnehmer nicht unvorbereitet von eintreffenden SA-Mitgliedern oder Polizisten überrascht würden. Der oben bereits genannte Vorsitzende der Revisionskommission der Gemeindekasse von Niederlehme Otto Franke hatte extra aus diesem Anlass eine Revisionsbesprechung der Gemeindekasse einberaumt, um die Aufmerksamkeit des Bürgermeisters zu binden und die eingehenden Meldungen über das Geschehen in der Umgebung zu verfolgen.
Auf der Tagung selbst hielt Ernst Thälmann, der seit 1925 der Vorsitzende der KPD war, das Hauptreferat. In seiner Rede, die nicht im Original, sondern nur als nachträgliche Abschrift überliefert ist, kennzeichnete Ernst Thälmann zunächst die Situation, die sich mit dem 30. Januar 1933 für die KPD und für die Arbeiterklasse selbst, ergab. Wie eine Kassandra prophezeite er seinen anwesenden Genossen: „Das Kabinett Hitler-Hugenberg-Papen ist die offene faschistische Diktatur. Was die Zusammensetzung der Regierung anbetrifft, so kann es in Deutschland eine weitere Steigerung in der Richtung des offenen Faschismus kaum mehr geben. Wohl aber gibt es in den Methoden dieser Regierung der offenen faschistischen Diktatur noch eine ganze Reihe von Steigerungsmöglichkeiten. Jeder Zweifel darüber, dass diese Regierung vor irgendwelchen […] Methoden des äußersten Terrors zurückschrecken würde, wäre sehr gefährlich.
Es ist der Bourgeoise ernst damit, die Partei und die Avantgarde der Arbeiterklasse zu zerschmettern. Sie wird deshalb kein Mittel unversucht lassen, um dieses Ziel zu erreichen. Also nicht nur faschistische Klassenjustiz, sondern alle Formen des faschistischen Terrors; darüber hinaus: Masseninternierungen von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde an unseren tapferen antifaschistischen Kämpfern, insbesondere an kommunistischen Führern – das alles gehört mit zu den Waffen, deren sich die offene faschistische Diktatur uns gegenüber bedienen wird.“

Die Arbeiterklasse hatte mit dem Regierungsantritt Adolf Hitlers zweifellos eine entscheidende Niederlage erlitten, an der auch die KPD einen nicht geringen Anteil der Schuld trug. Denn „wir waren nicht imstande, die Aufrichtung der faschistischen Diktatur bis zur heutigen offenen faschistischen Diktatur zu verhindern.“ Und „wenn wir nicht mehr erreichen konnten, so deshalb, weil wir den Einfluss der SPD- und ADGB-Führer sowie der christlichen Gewerkschaftsführer auf breite Arbeitermassen nicht in dem erforderlichen Maße zu liquidieren vermochten. Uns hemmten in diesem Kampf die Mängel unserer Gewerkschaftsarbeit, Betriebsarbeit, die Mängel bei der Anwendung der Einheitsfront und im prinzipiellen Kampf gegen die sozialdemokratischen Betrugsmanöver.“ Die Arbeitermassen seien durchaus auf der Höhe der Zeit angelangt und „was sich gegenwärtig in ganz Deutschland abspielt, die täglichen Demonstrationen, Zusammenstöße, Kampfhandlungen in allen Teilen des Reiches, ist der beste Ausdruck dafür, wie geladen, wie gespannt von revolutionären Energien die ganze Atmosphäre ist.“ Aber in der Partei zeigen sich „starke Erscheinungen des Zurückbleibens hinter den Massen. Man braucht diese Schwächen der Parteiorganisation nicht zu schwarz zu sehen, aber man muss die Augen aufmachen, um sie rechtzeitig zu liquidieren.“
So müsse die KPD unter den veränderten Bedingen hinarbeiten auf „eine Kette ununterbrochener, miteinander verflochtener und sich gegenseitig ablösender Aktionen, die Entfaltung aller Formen des Massenwiderstandes und Massenkampfes gegen die faschistische Diktatur.“ „Der revolutionäre Brand muss stets an anderer Stelle wieder verstärkt aufflackern und sich entzünden, wenn er an einer anderen Stelle vorübergehend erstickt wird, bis keine Feuerwehr mehr hilft, diesen revolutionären Brand zu löschen. So müssen wir dazu kommen, die Organisierung ununterbrochener Massenaktionen des Proletariats in allen Formen, auf allen Gebieten in die Wege zu leiten. Dabei würde die Vernachlässigung der Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und aller übrigen werktätigen Schichten eine fast ebenso schwere Gefahr bedeuten wie vor allem jeder Ökonomismus, das heißt die Vernachlässigung des politischen Kampfes gegen die Diktatur der Bourgeoise.“ „Rückhaltlose Entfesselung aller Formen der politischen und wirtschaftlichen Tageskämpfe und Aktionen, Teilkämpfe, Teilstreiks usw., fester, entschlossener Kurs auf den politischen Generalstreik!“
Ernst Thälmann benannte konkrete Aufgaben und Arbeitsfelder, in denen die zielgerichtete und verstärkte Parteiarbeit zum Tragen kommen sollte: „Wir müssen überall den gemeinsamen Massenselbstschutz aufziehen, einen Patrouillendienst in den Arbeitervierteln, die Möglichkeit von rascher Alarmierung der Arbeiterschaft gegen faschistische Überfälle usw. organisieren. Wir müssen anlässlich des drohend bevorstehenden Parteiverbots die Rolle der Partei immer deutlicher als der einzigen Partei eines realen, positiven Auswegs aus der Krise, als der einzigen Partei der Verteidigung der Interessen der werktätigen Massen herausarbeiten. Wir müssen die Aktivität für den Schutz der Partei und der proletarischen Führer zur Entfaltung bringen und eine solche Stimmung in den Massen schaffen, dass ein Verbot der KPD von den Massen mit der Entfaltung der größten Kampfaktion beantwortet wird. Wir müssen anlässlich des bevorstehenden Streikverbots die Schaffung von illegalen betrieblichen Streikkassen endlich in die Tat umsetzen. […]
Wir müssen das Bündnis zwischen Stadt und Land, zwischen den kämpfenden Arbeitern und den werktätigen Bauern schmieden. Wir müssen den armen Bauernmassen klarmachen, dass nur im Bündnis mit dem Proletariat, nur unter proletarischer Hegemonie, nur im Kampf gegen die Kapitalisten auch das Los der Bauern gebessert werden kann.
Wir müssen die größte Stoßkraft entfalten zur Gewinnung der proletarischen und werktätigen Jugend aus der SAJ, aber sogar aus der Hitlerjugend müssen wir einzelne und ganze Massen herüberreißen. Wir müssen gegen die Zwangsarbeit, gegen die Zuchthauslager und die Kasernierung mit der Arbeitsdienstpflicht, gegen die Militarisierung der Jugend Sturm laufen.
Gegen die chauvinistische Kriegshetze und imperialistische Kriegspolitik des Faschismus müssen wir die Massenpropaganda für den proletarischen Internationalismus, für unsere Freiheitspolitik entfalten.
Wir müssen den Massen unser Programm zeigen als das Programm des einzigen Auswegs aus Elend, Not und Unterdrückung, als Programm der sozialen und nationalen Befreiung des deutschen Volkes. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir die Partei sind, die durch die Befreiung der Arbeiterklasse die Einheit der Nation verwirklicht, indem sie das kapitalistische System bis zu dessen Vernichtung bekämpft.“

Bemerkenswert und von großer Bedeutung für die zukünftige Politik der KPD und der gesamten Kommunistischen Internationale sind die Aussagen, „dass der Sturz der Hitlerregierung und der Sieg der proletarischen Revolution [nicht] unbedingt ein und dasselbe sein muss. Wir stellen die Frage des Kampfes für den Sturz der Hitlerregierung, die Frage der Beseitigung der Hitler-Hugenberg-Regierung als unmittelbare Aufgabe […], ohne dass wir unter allen Umständen zu 100 Prozent sagen können, dass, wenn uns der Sturz der faschistischen Diktatur gelingt, dies schon mit dem Sieg der proletarischen Revolution direkt verbunden ist. […] Diese Feststellungen schließen jedoch […] keineswegs aus, dass der Kampf zum Sturz der Hitlerregierung gleichzeitig in den Kampf um die volle Macht des Proletariats umschlagen kann.
Hier darf es kein Schema geben, sondern nur eine dialektische Betrachtung. Weder legen wir uns darauf fest, die Hitlerregierung erst in dem Augenblick zu stürzen, wo die Situation schon für den vollen Sieg der proletarischen Revolution reif ist, noch lassen wir außer Betracht, dass […] die Fristen des revolutionären Aufschwungs und für die volle Entfaltung der revolutionären Krise heute viel kürzer sind als in den bisherigen Abschnitten der Geschichte des proletarischen Klassenkampfes.“

In diesen Gedanken Ernst Thälmanns steckten bereits die Ursprünge der späteren Volksfrontpolitik, dem Bündnis der kommunistischen Parteien mit allen antifaschistischen, d.h. auch bürgerlichen Parteien, Gruppen und Kräften gegen die offene faschistische Diktatur. 1935 wurde die Volksfrontpolitik auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale zur offiziellen, verbindlichen Politik aller kommunistischen Partien erklärt. Die Volksfrontpolitik war in der kommunistischen Weltbewegung nicht unumstritten. Der kommunistische Philosoph und Theoretiker August Thalheimer kritisierte die Volksfrontpolitik scharf, weil mit ihr der „Kampf um die volle Macht des Proletariats“ als Ziel des Klassenkampfes zugunsten des unmittelbaren Sturzes der faschistischen Diktatur in den Hintergrund gerückt worden sei. Diese Selbstbeschränkung der kommunistischen Parteien habe die revolutionäre Erhebung der Arbeiter- und Bauernmassen und damit Chancen zur sozialistischen Revolution verhindern, wie zum Beispiel im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass die Volksfrontpolitik die Zahl der antifaschistischen Kräfte bis in die Kreise der bürgerlichen Intelligenz hinein erheblich erweitert und den Einfluss der Kommunisten auch nach dem Sturz der faschistischen Diktatur 1945 vergrößert hat. Schließlich ist das geflügelte Wort Thomas Manns, „der Antikommunismus ist die Grundtorheit des 20. Jahrhunderts“, ein anschaulicher Beweis dafür, in welch hohem Maße die Volksfrontpolitik das Ansehen des Kommunismus international gehoben hat.
Ernst Thälmann hatte sein Referat noch nicht beendet, als die Tagung gegen 20.00 Uhr vorzeitig geschlossen wurde. Posten hatten vom Dachboden aus auf dem gegenüberliegenden Grundstück zwei Männer beobachtet, die womöglich der Rede des laut sprechenden Ernst Thälmann zugehört hatten. Als gegen 22.00 Uhr SA-Mitglieder den Tagungssaal betraten, konnten sie keinen der Tagungsteilnehmer mehr im Sporthaus Ziegenhals antreffen. Die Vorsicht war also nicht unbegründet. Ein Teil der KPD-Genossen wurde in den bereitstehenden Reisebussen zurück nach Berlin gefahren, ein anderer Teil überquerte den Krossinsee mit einem Kahn des Sporthauses zur nächste gelegenen Bahnstation. Unmittelbar im Zusammenhang mit der Tagung vom 07. Februar 1933 wurde keiner ihrer Teilnehmer von den Nationalsozialisten verhaftet; dem Terror der faschistischen Diktatur erlagen bis zu ihrem Ende dennoch viele. Unter diesen Opfern befanden sich namhafte Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung, wie Hans Beimler, der sich nach einer gelungenen Flucht aus dem KZ Dachau am Aufbau der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg beteiligte und in Spanien am 1. Dezember 1936 von einem deutschen Scharfschützen tödlich getroffen wurde; oder Georg Schuhmann, der zusammen mit Otto Engert den Aufbau der antifaschistischen Widerstandsgruppe „Nationalkomitee Freies Deutschland“ in Leipzig organisierte und deshalb am 11. Januar 1945 zusammen mit Otto Engert in Dresden hingerichtet wurde.

Auch Ernst Thälmann, ihren langjährigen Parteivorsitzenden, Genossen und oft auch persönlichen Freund, sahen viele KPD-Mitglieder an diesem 07. Februar 1933 gegen 20.00 Uhr, als er mit einem PKW vom Tagungsort zurück nach Berlin gefahren wurde, das letzte Mal. Nachdem am 27. Februar 1933 die KPD der Urheberschaft am Brand des Reichstages bezichtigt wurde und der Reichspräsident Paul von Hindenburg auf Veranlassung Adolf Hitlers einen Tag später die KPD mit der Notverordnung zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ verbot, wurde Ernst Thälmann am 03. März 1933 verhaftet und auf Befehl Adolf Hitlers am 18. August 1944 im KZ Buchenwald ermordet. Mehr als 11 Jahre hielten die nationalsozialistischen Machthaber Ernst Thälmann in Zuchthäusern und Konzentrationslagern gefangen, ohne dass sie es wagten, den Vorsitzenden der ihr am feindlichsten gesinnten Partei hinzurichten; so stark waren sie darum bemüht, ihr demagogisches Selbstbild einer rechtsstaatlichen und friedliebenden Partei gegenüber der deutschen und der Weltbevölkerung aufrecht zu erhalten; zu stark war das internationale Ansehen Ernst Thälmanns, für dessen Freilassung sich nicht nur Kommunisten, sondern auch bürgerliche Humanisten wie Romain Rolland öffentlich aussprachen. Der bekannteste Angeklagte der Reichstagsbrandprozesse in Leipzig, der bulgarische Kommunist und Vorsitzende der Kommunistischen Internationale Georgi Dimitroff betonte nach seiner Freilassung mehrmals die Notwendigkeit, dass auch Ernst Thälmann freigelassen werden müsse. Das Bataillon „Ernst Thälmann“ der XI., der deutschen, internationalen Brigade trug während der Verteidigung der spanischen Republik vor dem Francofaschimus seinen Namen, wovon noch heute das bekannt Lied „Spaniens Himmel“ Zeugnis ablegt. Erst als der Zweite Weltkrieg entschieden und das voraussichtliche Ende der faschistischen Diktatur unvermeidlich wurde, erfolgte die geheime Erschießung Ernst Thälmanns als grausame und späte Rache. Es ist deshalb durchaus nicht übertrieben, wenn Ernst Thälmanns von vielen Kommunisten und Antifaschisten über das Jahr 1945 hinaus als Symbolfigur des antifaschistischen Kampfes und Widerstandes angesehen wurde und wird. Sein Widerstand gegen das Bemühen der nationalsozialistischen Machthaber, dass er um den Preis seiner Freilassung dem Kommunismus abschwört und sich zum Nationalsozialismus bekennt, ist zweifellos ein sehr hohes historisches wie menschliches Verdienst, mit dem er unter persönlichen Leiden und Opfern seiner Rolle als Symbolfigur des kommunistischen Widerstandes gegen den Faschismus gerecht wurde.
Es ist richtig, dass seine Rolle als Vorsitzender der KPD historisch nicht gänzlich unumstritten ist. Rückblickend erscheint es fragwürdig, ob die politisch gewollte und staatlich beförderte Verehrung Ernst Thälmanns in der DDR im Ganzen politisch klug und zielführend war. Unter dem gut gemeinten Bemühen ,die Erinnerung an Ernst Thälmann aufrecht zu erhalten und durchaus auch von den Widersprüchen in der Vergangenheit und Gegenwart der kommunistischen Arbeiterbewegung abzulenken, hat man Ernst Thälmann wie viele Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung im Nachhinein zum „Kämpfer ohne Fehl und Tadel“, zu einer entmenschten politischen Persönlichkeit ohne persönliche Fehler stilisiert. Persönliche Fehler hat Ernst Thälmann wie jeder Mensch aber auch besessen. Und es ist auch äußerst zweifelhaft, dass sich der junge Hafenarbeiter aus Hamburg, der ab 1904 als Heizer auf einem Seefrachter arbeitete und dabei u. a. die USA bereiste, ein derart hohes theoretisches Wissen überhaupt aneignen konnte, das ihn befähigt habe zur „meisterhaften Anwendung der marxistisch-leninistischen Leitsätze auf die konkreten Entwicklungsbedingungen in Deutschland, [zu] unversöhnlichem Kampf um die Reinhaltung der marxistisch-leninistischen Theorie [und zum] unablässigen Bemühen um die Erhöhung des ideologisch-politischen Niveaus der Parteimitgliedschaft“, was ihn nach einem Beitrag des SED-Funktionärs Hermann Matern als einen „führenden Wissenschaftler und Revolutionär“ kennzeichne.
Dennoch muss man das Kind bei solcher Kritik an einer übertriebenen und unkritischen Verehrung Ernst Thälmanns nicht gleich mit dem Bade ausschütten und ist die Erinnerung an die Person Ernst Thälmann und seine historische Rolle durchaus gerechtfertigt. Der Parteivorsitz Ernst Thälmanns im August 1925 leitete in der KPD eine Phase der inneren Stabilität ein nach ihren schwierigen und wechselhaften Entstehungsjahren 1919-1924. Dies Entstehungsjahre waren vor dem Hintergrund der stürmischen Anfangsjahre der Weimarer Republik mit ihren Unruhen, Aufständen, Putschen und Krisen bestimmt von ständigen Wechseln der Parteiführung und ihrer jeweiligen Strategie und Taktik in der politischen Arbeit. Ernst Thälmann löste mit seinem Parteivorsitz 1925 Ruth Fischer und Arkadi Maslow in der Führung der KPD ab. Beide hatten nach den Erfahrungen des Krisenjahres 1923, der Inflation, des Ruhrkampfes, des gescheiterten Aufstandes in Hamburg und der Reichsexekutionen gegen die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen ab 1924 eine radikale Politik des bewaffneten Aufstandes und des unbedingten Drängens auf die proletarische Revolution verfolgt. Die Arbeit in den Parlamenten als Tribüne der Darlegung politischer Standpunkte und Programme und als Wirkungsstätte, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf parlamentarischem Wege zu verbessern, und die Arbeit in Gewerkschaften und Betrieben, in denen sich die tagtäglichen Kämpfe der Arbeiter um ihre wirtschaftlichen und politischen Rechte abspielen, waren vernachlässigt worden, wodurch die Partei an Anhängerschaft und Einfluss in der Arbeiterschaft verlor. Diese falsche Politik wurde mit dem Antritt Ernst Thälmanns als Parteivorsitzender überwunden. Unter seinem Vorsitzt erfolgte die Umgruppierung der Parteiorganisationen von Wohnbezirks- in Betriebsgruppen, wodurch die betriebliche Arbeit gestärkt und der Einfluss unter den Arbeitern und die Mitgliederzahl der Partei erhöht wurden. Mit dieser Umgruppierung erfolgte auch eine stärkere Einbeziehung der Parteimitglieder in die politische Arbeit. Mitglieder und Funktionäre der KPD wurden an die Beschlüsse der Partei gebunden und verpflichtet, diese Beschlüsse in der praktischen Arbeit und durch eigene Initiative umzusetzen, anstatt lediglich zahlende aber passive Mitglieder der Partei zu sein. Die KPD entwickelte sich auf diese Weise zu einer einflussreichen, aktiven und aktionsfähigen Massenpartei. Kennzeichnend für die Politik Ernst Thälmanns war darüber hinaus die verstärkte Anbindung an die Kommunistische Internationale und die Bindung an ihre Beschlüsse, weil kommunistische Politik im Zeitalter des modernen Kapitalismus nicht auf ein einzelnes Land beschränkt sein kann, sondern den internationalen Verflechtungen des Kapitals entsprechend international organisiert sein muss. Die Vernetzung der kommunistischen Parteien jeden Landes, der Austausch über die konkreten Bedingungen der Arbeit in jedem Land und die Erarbeitung einer gemeinsame und aufeinander abgestimmten Politik sind die lebensnotwendigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche kommunistische Politik im nationalen und Weltmaßstab.
Aber genau in dieser Politik liegen Lob und Kritik an der historischen Rolle Ernst Thälmanns widersprüchlich miteinander vereint. Denn was sein historisches Verdienst begründet, ist gleichzeitig Anknüpfungspunkt der Kritik an seiner Politik. Band Ernst Thälmann die Politik der KPD an die Beschlüsse der Kommunistischen Internationale, musste er damit zugleich deren Fehlentscheidungen verbindlich für die KPD übernehmen. Als in den späten 20er Jahren die Beteiligung der sozialdemokratischen Partei an den Lännder- und Reichsregierungen der Weimarer Republik und der Abbau wirtschaftlicher, sozialer und politischer Rechte durch diese Regierungen in der Kommunistischen Internationale als „Sozialfaschismus“ bezeichnet wurde, übernahm auch die KPD diese historisch falsche Beurteilung der Rolle der SPD. Die SPD als den Hauptfeind in der politischen Auseinandersetzungen zu betrachten, entpuppte sich nicht nur als schwerwiegende Unterschätzung der tatsächlichen Gefahr einer faschistischen Diktatur, sondern auch als das falscheste Mittel, den Einfluss der KPD unter sozialdemokratischen Arbeitern zu erhöhen und die Arbeiterparteien Deutschlands im Kampf gegen den Faschismus zu vereinen. Verbunden mit der Neugründung kommunistischer Gewerkschaftsverbände, den Roten Gewerkschaftsorganisationen (RGO), weil man den Führer der bestehenden Gewerkschaften misstraute und die Arbeit und Auseinandersetzungen mit den sozialdemokratischen Arbeiten innerhalb der Gewerkschaften für aussichtslos hielt, barg diese Haltung die akute Gefahr einer Isolierung der KPD von den Arbeitermassen in Betrieben und Gewerkschaften. Die These vom Sozialfaschismus und die Politik der RGO fanden auch in den Reihen der KPD scharfe Kritiker, die die Gefahr der Isolierung früh erkannten. Es zählt hier zu den bisher wenig beleuchteten Bereichen der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, dass die innerparteiliche Auseinandersetzung um diese Fragen praktischer kommunistischer Politik kaum inhaltlich-theoretisch, sondern administrativ geführt wurde durch Vergabe oder Entzug politischer Ämter und Parteiausschlüsse und begleitet war von einem starken Abbau innerparteilicher Demokratie. In der Gegenwart wird seitens bürgerlicher Kritiker oft die „Affäre Wittorf“ als Ausgangspunkt für eine sogenannte „Stalinisierung“ der KPD herangezogen. Aber so unsachlich und vereinfachend es einerseits ist, die komplizierte innerparteiliche Entwicklung der KPD der Weimarer Jahre aus einem einzigen Ereignis heraus erklären zu wollen, ohne Hintergründe, Entwicklungen und Widersprüche bei ihrer Beurteilung in Betracht zu ziehen, so aufschlussreich kann die „Affäre Wittorf“ auch für das richtige Verständnis dieser Ereignisse sein, wenn man sie historisch korrekt betrachtet.
John Wittorf war der politische Sekretär der Bezirksleitung der KPD in Hamburg Wasserkante, dem Bezirk, in dem auch Ernst Thälmann vor seiner Wahl zum Parteivorsitzenden tätig gewesen ist. Dass John Wittorf für private Zwecke Parteigelder unterschlagen hatte, war im Frühjahr 1928 Gegenstand einer nicht öffentlichen Sitzung der Bezirksleitung Hamburg Wasserkante unter Anwesenheit Ernst Thälmanns. Man einigte sich darauf, John Wittorf seines politischen Amtes zu entheben und die „Affäre“ nicht weiter an die Öffentlichkeit zu bringen. Für diese Geheimhaltung sprachen in der historischen Situation durchaus einleuchtenden Gründe. Die KPD befand sich inmitten der Wahlkämpfen zur anstehenden Reichstagswahl im Mai 1928 und in der öffentlichen Agitation gegen die Zustimmung des Reichskanzlers Hermann Müller (SPD) zum Bau des ersten deutschen Panzerkreuzers im August 1928. Allein die erste Zahlungsrate für den Bau des Panzerkreuzers betrug 80 Millionen Reichsmark, die die deutsche Bevölkerung zu bezahlen hatte. Diese politischen Vorhaben sollten nicht gefährdet werden, indem parteiinterne Auseinandersetzungen an die Öffentlichkeit kamen. Sie kamen aber an die Öffentlichkeit, weil sozialdemokratische Zeitungen unter Verweis auf die zwielichtige Rolle Ernst Thälmanns und ebenfalls aus politischer Motivation darüber berichteten. In einer ersten Reaktion setzte das Zentralkomitee der KPD Ernst Thälmann deshalb am 26. September 1928 als Parteivorsitzenden ab. Dass man die Entscheidung über den Umgang mit Ernst Thälmann in der KPD an dieser Stelle dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) als der übergeordneten Instanz und nicht den Delegierten eines Parteitages als höchstem Entscheidungsorgan der Partei übertrug, kann man mit Recht als Anzeichen bedenklichen Abbaus von innerparteilicher Demokratie betrachten. Dies entsprach aber andererseits auch der Logik, die sich aus der Anbindung der KPD an die Kommunistische Internationale in der konkreten historischen Situation ergab. Und das EKKI entschied sich, Ernst Thälmann erneut als Vorsitzenden der KPD einzusetzen, weil es sich mit der Wahl des Vorsitzenden für eine bestimmte Politik der KPD entscheiden musste, die von Ernst Thälmann vertreten wurde. Diesem Beschluss des EKKI entsprechend wurde Ernst Thälmann auf der 2. Parteikonferenz der KPD im November 1928 wieder als Parteivorsitzender eingesetzt. Parteiinterne Kritiker der These vom Sozialfaschismus und der Politik der RGO oder die sozialdemokratische Reichsregierung nutzten die in der Affäre Wittorf zu Tage getretenen Defizite parteiinterner Demokratie als Argumente für ihre Kritiken an der Politik der KPD unter der Leitung Ernst Thälmanns. Dass diese Angriffe nicht, wie es notwendig gewesen wäre, mit offenen Diskussion über die Strategie und Taktik der Partei, sondern administrativ, mit Parteiausschlüssen in großer Zahl beantwortet wurde, sollte einer kritischen, historischen Betrachtung unterworfen werden. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen allerdings weit in der zutiefst widersprüchlichen Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung begründet und lassen sich mit dem Stigma der „Stalinisierung“ der KPD schwerlich hinreichend beantworten. So erfolgten in den Jahren 1928 und 1929 viele Parteiausschlüsse und Parteiaustritte von Mitgliedern, die in Abweichung zur offiziell vertretenen politischen Linie der KPD standen und von denen sich viele im Dezember 1929 in der Kommunistischen Partei Opposition (KPO) zusammenfanden.
Zur historischen Wahrheit über Ernst Thälmann gehört allerdings auch, dass er einer derjenigen war, die in den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts angesichts der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und der aufmarschierenden Verbände des wirklichen Faschismus in der Kommunistischen Internationale auf eine Überwindung der schädlichen und falschen Sozialfaschismusthese drängten. Entsprechend seiner Loyalität gegenüber der Kommunistischen Internationale, fühlte er sich und die KPD an deren Beschlüsse gebunden, trat aber gleichzeitig für die Durchsetzung der richtigen Politik in der Kommunistischen Internationale ein. Der schließlich erfolgte Politikwechsel der KPD von der Polemik gegen den Sozialfaschismus zur antifaschistischen Einheitsfront aller Arbeiterpartei blieb letzenendes erfolglos, weil die Führer der SPD aus machtpolitischem Kalkül die Einheitsfront mit der KPD ablehnten, und viele sozialdemokratische Arbeiter, die noch vor wenigen Jahren von KPD-Mitglieder selbst als Sozialfaschisten beschimpft worden waren, den ehrlichen Angeboten der KPD zu gemeinsamen Aktionen misstrauten. Diese Bemühungen der KPD um eine Einheitsfront der Arbeiter gegen die wachsende Faschismus zu übersehen, wäre genauso falsch und unhistorisch, wie eine unreflektierte und unkritische Verehrung der historischen Rolle Ernst Thälmanns, welche die politischen Fehler der KPD in den späten 20er Jahren verschweigt.
Schließlich war und ist „Teddy“, wie Ernst Thälmann von Genossen und Freunden genannt wurde, für viele Kommunisten weit mehr als nur eine historische Persönlichkeit, sondern auch ein Mythos, der alle politischen und persönlichen Eigenschaften in sich vereint, die man von einem Vorsitzenden einer kommunistischen Partei erwarten möchte. „Teddy“ ist der robuste Arbeiter, der in Hamburgs Arbeitervierteln kapitalistische Ausbeutung, Armut und karges Leben durchlitten hat, der in harten gewerkschaftlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen zum klassenbewussten Arbeiter geformt wurde und der sich durch unermüdlichen Fleiß die Theorie des Marxismus-Leninismus angeeignet hat; „Teddy“ ist der Abgeordnete des Reichstages, der in seinen Reden kraftvoll und mit lauter Stimme die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Arbeiter verteidigt, unnachgiebig und schonungslos die kapitalistische Gesellschaft und ihre Politiker anklagt; „Teddy“ ist der Parteivorsitzende, den jeder Arbeiter zu jeder Zeit um Rat und Tat bitten kann, dem man offen und ehrlich Herz und Seele offenbaren darf, der die Zeitungen und Flugblätter eigenhändig redigiert, der dem Streikposten mit einem aufmunternden Lächeln kameradschaftliche die Hand schüttelt und der den Arbeiter am Wegesrand verteidigt vor den Übergriffen von Polizei und Staat; „Teddy“ ist der verfolgte und geschundene Kommunist, der in den Kerkern der Gestapo geduldig und standhaft sein Schicksal erträgt, seine Genossen in den Organisationen des Widerstandes trotz Folter und Tod niemals verrät und Treu bleibt den Idealen und der Sache der Arbeiter Deutschlands und der ganzen Welt. Wer mag also ermessen, wie viele Kommunisten in den 12 Jahren faschistischer Diktatur auf diese Weise unter unvorstellbaren Leiden Ängste, Schläge und Folter durchlitten haben; wie viele stumme heroische Schlachten mit der Versuchung und dem Wunsch nach Erlösung in Gestapokellern siegreich geschlagen wurden und wie viele Namen in solchen Schlachten niemals ausgesprochen wurden, weil „Teddy“ das selbe getan hätte? Wer mag ermessen, was vielen Kämpfern der Internationalen Brigaden, die ihre Leben ließen für die Verteidigung der Spanischen Republik, vielen Insassen der KZs Esterwegen, Sachsenhausen oder Buchenwald und vielen Mitgliedern antifaschistischer Widerstandsorganisationen der Name Ernst Thälmann als Mythos und Vorbild auch über das Jahr 1945 bedeutet hat und noch heute bedeutet? Denn auch diese Tatsachen, die nicht quantitativ in die Reihe der historischen Fakten eingeordnet werden können, sind Teil der Aspekte, die bei aller Weitschweifigkeit hier nur unvollständig dargelegt werden konnten und die für eine nicht kritiklose, nicht widerspruchsfreie aber angemessene und historische Erinnerung an Ernst Thälmann, den Vorsitzenden der KPD in den Jahren 1925-1933, sprechen.
 
20 Jahre nach der geheimen Tagung des Zentralkomitees der KPD wurde am 07. Februar 1953 im Sporthaus in Ziegenhals eine Gedenkstätte eröffnet in Erinnerung an die Ereignisse, die an diesem Ort am 07. Februar 1933 stattfanden, und im Gedenken an die Teilnehmer der Tagung, von denen viele die faschistische Herrschaft nicht überlebten. Das Sitzungszimmer wurde in der ursprünglichen Form rekonstruiert und mit Informationsmaterial und Bildern der Teilnehmer der Tagung behangen. Angehörige der Streitkräfte der DDR und Arbeiter des VEB Schwermaschienenbau „Heinrich Rau“ bargen und reparierten das Boot, mit dem ein Teil der Teilnehmer am Abend des 07. Februars 1933 den Tagungsort über den Krossinsee in Richtung Bahnstation verließ. Weil Ernst Thälmann auf der Tagung in Ziegenhals zum letzten Mal eine Rede an das Zentralkomitee der KPD hielt, wurde das Sporthaus in Ziegenhals gleichzeitig ein besonderer Erinnerungsort ein seine Person. Auf diese Weise war die Gedenkstätte in Ziegenhals mehr als 50 Jahre lang ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur der DDR und ihres kulturellen und geschichtlichen Erbes in der Bundesrepublik. 1990 ging die Immobilie des Sporthauses Ziegenhals in das Eigentum der Treuhandliegenschaftsgesellschaft über, wurde von ihr verpachtet und das Inventar der Gedenkstätte dem im gleichen Jahr gegründeten Freundeskreis „Ernst Thälmann Gedenkstätte“ e.V. Ziegenhals übergeben. Seither betrieb und betreute der Verein die Gedenkstätte und führte auf ihrem Gelände seit 1994 alljährliche Gedenkveranstaltungen durch. 1997 kündigte die Treuhandliegenschaftsgesellschaft den Vertrag mit der damaligen Pächterin und bot die Immobilie öffentlich zum Verkauf an unter der vom Protest es Freundeskreises erzwungenen Auflage, dass Bestand und Zugänglichkeit der Gedenkstätte von allen Pächtern, Eigentümern und Verwaltern der Immobilie gewahrt bleiben müssten. Ein damaliger Ministerialbeamte im brandenburgischen Bauministerium ersteigerte die Immobilie des Sporthauses Ziegenhals im Jahre 2002, verschloss die Gedenkstätte und forderte im August 2003, dass die Gedenkstätte von der Denkmalliste gestrichen und ihr Abriss ermöglicht würde. Obwohl der Freundeskreis „Ernst Thälmann Gedenkstätte“ e.V. Ziegenhals 2004 die Eintragung der Gedenkstätte in das Verzeichnis der Denkmale des Landkreises Dahme-Spreewald erwirkte, wurde der Abriss der Gedenkstätte 2005 vom Landkreis Dahme-Spreewald nach den Bestimmungen eines neuen Denkmalschutzgesetzes der brandenburgischen Landesregierung genehmigt. Zahlreiche Antifaschisten und Bürgerrechtler aus aller Welt unterstützten seither die Bemühungen und Aufrufe des Freundeskreis „Ernst Thälmann Gedenkstätte“ e.V. Ziegenhals um den Erhalt der Gedenkstätte. Der brandenburgische Ministerpräsident Mattias Platzeck drückte seine Haltung zum Erhalt der Gedenkstätte in Ziegenhals auf Anfrage mit den Worten aus: „Ich bin generell dafür, das Andenken an deutsche Arbeiterführer aufrecht zu erhalten … zumal wenn sie, wie – Ernst Thälmann – im Kampf gegen die faschistische Gewaltherrschaft ihr Leben gelassen haben, … der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte kann nicht der Rang eines nationalen Gutes eingeräumt werden.“
Am 08. Mai 2010 wurde der Abriss der Gedenkstätte des Sporthauses Ziegenhals vollzogen und mit ihm ein wichtiger und wertvoller Ort der Erinnerung an die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung für immer zerstört – am 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, 20 Jahre nach den Ereignissen, die oft als Wiedervereinigung Deutschlands bezeichnet werden, und im 2. Jahr seit Ausbruch der größten kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftskrise seit 1929.

Roman Stelzig

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