Dienstag, 22. Dezember 2009

Postmodern sind wir entgleist

Die Arbeit bringt kein Geld,
stiehlt mir nur Zeit
die ich bräuchte, um der Welt
das Versprechen zu entlocken,
dass sie für immer hält,
nicht in Teile so zerfällt,
dass sie mir nicht mehr gefällt.

Eine starke Lokomotive
ist der Geist oder auch die Liebe
vielleicht auch deus oder ontos,
Wille, Sorge, Feuer, Orcus.
Bunte Wagen hinten dran;
auf die Mischung kommt es an.
Wie ist die Lehre zusammengesetzt?
Endet sie falsch, wird sie ersetzt.
Von hinten nach vorn werd ich gehetzt,
verstehe, bevor sich das Gleis zersetzt.

Doch heute fahren die Züge
in jede Richtung, überall hin.
Beliebig wird das Weltgefüge!
Mit jedem Zug, überall hin,
kann ich heut fahren,
wo bleibt der Sinn?
Kann aufspringen, mir zu eigen machen,
Vieles erklärt mir alle Sachen.
Ich weiß nicht mehr, was richtig ist,
zieh mich zurück. Ob man vergisst,
mir nachzutragen - den Entzug?
Postmoderne ist Weltbetrug!

Das Eine und das Ganze
wollen doch alle erhalten
außer einer Gruppe,
die nimmt wie eine Puppe
mein Gefühl und Einheitsdenken,
trampelts, tritts und schändets,
ich frag dich, wie dus fändest,
wenn dein Weltbild mit Beliebigkeit
gestellt wird neben die Endlichkeit
vom menschlichen Denken und der Materîe;
sowas gabs geschichtlich noch nie.

Ohne das Wort zu nennen,
sich in Begriffe verrennen,
auch die Bedeutung zu kennen
weißt du sicher was es heißt:
postmodern sind wir entgleist.

von Frank Ursin

3 Kommentare:

  1. Ich finde, das Gedicht ist eine gelungene Parodie auf die geistige Orientierungslosigkeit der Gegenwart, das konstruktivistische Einerlei – in dessen Begleitung vielleicht nicht nur Ideen, sondern auch Werte und Ideale umgedeutet werden?
    Was mich interessiert, ist die Frage, welche Philosophie nach Ansicht des Autors nun die neue Lokomotive sein könnte. Welche Philosophie ist die moderne, wenn alle nachfolgenden nur postmodernistische Entgleisungen darstellen? Der Geist als die Lokomotive der Welt – vielleicht Hegel?

    Roman

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  2. Genau gesagt, würde der postmoderne Mensch das Bild vom Zug aufgeben und wohl lieber von einem vielspännigen Wagen reden. Auf der einen Seite leuchtet es ein, dass das multikausale menschliche Leben nicht nur z.B. durch Ereignisgeschichte zu beschreiben ist. Auch Wirtschaftsgeschichte, Kulturgeschichte oder Umweltgeschichte beschreiben für sich allein die Geschichte nur ungenügend, wie jede andere Bindestrichgeschichte. Aber wenn man auf der anderen Seite von den Bindestrichgeschichten als "Aspekten" von x (= Allgemeine Geschichte?) redet, ist eben dieses x immernoch schwer zu bestimmen. Zwangsläufig werden wir dahin gedrängt, das Wesen der Geschichte, der Existenz, des Menschen etc. zu bestimmen. Es ist wie, wenn wir die physikalische Weltformel suchten, mit deren Hilfe man die Welt adäquat und vielleicht sogar vorausberechnend beschreiben könnte.

    Ich stelle mir die Frage: Was ist das Bewegende in der Geschichte? Sind es die "großen Männer (und Frauen)", Sturkturen, Prozesse, die Gesellschaft, die Produktionsverhältnisse? Es ist ein nicht zu vereinender Widerspruch, ob ich vom Individuum ausgehe oder von der Gesellschaft. Was war zuerst da, was bestimmt was? Wenn sich Individuum und Gesellschaft gegenseitig bedingen (was ja so ist), wie kann ich dann analytisch die Ursachen für Handlungen und historische Ereignisse bestimmen, wo doch alles so verflochten ist? Muss ich also genau aufs Detail schauen oder doch auf die großen Prozesse?

    Hegel? Oder gleich Gott? Oder Platon? Oder Marx? Ich weiß nicht.

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  3. Mit einem Schmunzeln würde ich sagen: Eine „ertragreiche Analyse des Negativen ins Positive“ ist diese Antwort aber auch nicht gerade. Ich persönlich wüsste, für welchen der genannten Herren ich mich entscheiden würde.

    Roman

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